Die Lösung aller Probleme: Eine gute Volksschule
Zwei Schwerpunkte ergeben sich aus der vorliegenden Textsammlung: Der akute Lehrermangel und der alle Jahre wiederkehrende aufgeregte Disput um die Gymiprüfung. Da wird mit Zahlen jongliert und mit Studien hantiert, die tieferen Ursachen jedoch bleiben aussen vor. Deshalb fehlen meistens praktikable Lösungsvorschläge. Zum «Auftanken» publizieren wir zwei Leserbriefe sowie zwei Leckerbissen aus den Federn von Carl Bossard und Eliane Perret.
«Munter vorwärts auf dem schulpolitischen Irrweg»
Eine unbefriedigende Erfahrung macht derzeit unser Vereinspräsident der «Starken Volksschule Zürich», Timotheus Bruderer, der im Wetziker Gemeinderat mit seiner Fraktion und mit viel Unterstützung aus allen politischen Ecken einen Bericht des Stadtrates über die Ursachen der vielen Probleme an den Schulen eingefordert hat. In seinem Artikel gibt er uns einen guten Einblick, was alles ansteht, kritisiert die fehlenden Lösungsvorschläge des Stadtrates («Munter vorwärts auf dem schulpolitischen Irrweg») und spricht selbst einige mögliche Lösungsansätze an.
Wir wünschen Timotheus viel Erfolg bei den bevorstehenden Wahlen und freuen uns für ihn und für die Wetziker Volksschule, wenn er als Schulpräsident gewählt wird!
Lehrermangel und Top Ten Stressoren
Die Wetziker Lehrerumfrage (siehe Grafik) bestätigt die bekannten Ursachen des Lehrermangels. An der Spitze der Berufsverleider steht der (ebenfalls längst bekannte) übermässige administrative Aufwand, der den Pädagogen viel zu wenig Zeit und Raum lässt für ihre eigentliche Aufgabe, den ihnen anvertrauten jungen Menschen das Rüstzeug fürs Leben mitzugeben. Das mit dem Lehrplan 21 verbundene Konzept des selbstorganisierten Lernens (SOL) führt zu einer Verzettelung des Geschehens im Schulzimmer, so dass die Lehrerin unablässig mit organisatorischen Aktivitäten und mit dem «Coachen» der einzelnen Schüler beschäftigt ist, statt dass sie ihre Klasse unterrichten kann. Mit dieser unbefriedigenden beruflichen Situation hängt auch das «Gefühl, nie fertig zu sein» zusammen.
Die meisten übrigen genannten «Stressoren» sind direkte Folgen der unsinnigen Theorie, es sei diskriminierend, wenn nicht alle Kinder – ungeachtet ihres Entwicklungsstandes – im selben Raum beschult würden. Daraus resultieren zu grosse, heterogene Klassen mit vielen «schwierigen» Schülern und integrierten Sonderschülern. Seit Jahren fordern erfahrene Lehrer deshalb zum Wohl aller Beteiligten die Wiedereinführung von Kleinklassen oder wie in Wetzikon von Sek C-Klassen.
Aus dieser Überforderungssituation, nicht nur der Wetziker Lehrkräfte, folgt logischerweise, dass viele Lehrer ihre Pensen reduzieren, so dass es in der ohnehin angespannten Lage (706 offene Stellen im Kanton) noch mehr Lehrer brauchen würde. Deshalb fordert der Zürcher Kantonsrat vom Regierungsrat «Antworten zum Lehrpersonenmangel und zum (überfrachteten) Berufsauftrag» (ZLV aktuell). Die Bildungsdirektion geht in ihrer Antwort an den Kantonsrat am 7. März völlig über die tieferliegenden Ursachen unserer Schulmisere hinweg und liefert wenig Erhellendes: Wenn jede Lehrerin ihr Pensum um eine Lektion pro Woche aufstocken würde, könnte der Kanton 1000 Stellen einsparen!! («Höhere Pensen als einziger Ausweg?»). Schade, dass die Fasnacht vorbei ist – das gäbe einen tollen Narrenspruch!
Dauerbrenner Gymnasium: Je besser die Volksschule, desto grösser die Chancengleichheit
Vom Zürichberg gehen mehr Kinder ins Gymnasium als von Schwamendingen, von der Goldküste mehr als vom Tösstal, ist in der NZZ zu lesen («Nicht nur die Leistung entscheidet»). Nichts Neues unter der Sonne! Wieder einmal regnet es Zahlen und Grafiken, und es wird beklagt, dass im Kanton Zürich nach wie vor nur etwa 15 Prozent der Sechstklässler die Gymi-Prüfung bestehen. («Die Gymiprüfung und die magische 15-Prozent-Marke»)
Auf einen positiven Grund dieser tiefen Quote wird inmitten der Statistiken immerhin hingewiesen: «Den Hype ums Gymi gibt es nicht überall. Gerade in ländlichen Gebieten wollen viele Eltern lieber eine gute Lehre für ihr Kind.» Recht haben sie – nicht umsonst hat die Schweiz eine hervorragende duale Berufsbildung, um die sie vielerorts beneidet wird.
Vor lauter Zahlenbeigen gehen in den Zeitungsartikeln zwei massgebende Punkte vergessen, die von zwei Leserbriefschreibern aufgegriffen werden (zum Glück gibt's aufmerksame Leser!). Kurz und klar erinnert Andreas Gilgen an die negativen Auswirkungen des Lehrplan 21: Das damit verbundene selbstorganisierte Lernen (SOL) sei eine «masslose Überforderung», deswegen schafften viele Kinder die Gymi-Prüfung nur mit Nachhilfeunterricht. Hans-Peter Köhli macht darauf aufmerksam, dass es neben dem gymnasialen Weg auch eine gute Oberstufe der Volksschule braucht: «Gute Sek-A-Klassen wären die beste Waffe gegen die überbordende und oft teure externe Vorbereitung, welche sich viele Familien nicht leisten können.»
Den familiären Hintergrund eines Kindes kann die Schule nicht ändern, aber sie hat allen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen und damit für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Dies ist seit dem 19. Jahrhundert die Aufgabe der Volksschule – wir lassen nicht davon ab, sie einzufordern!
Besinnung auf die Grundwerte der Pädagogik
Zur Verankerung in den unruhigen und oft oberflächlichen Wogen der heutigen Schulwelt können wir unseren Lesern die Darlegungen der erfahrenen Pädagogen Carl Bossard und Eliane Perret empfehlen.
Carl Bossard lässt uns an seinen klugen Überlegungen zum Dialektischen, zum Gegensätzlichen teilhaben, das zu einem erfolgreichen Unterricht gehört. So bedingen sich Freiheit und sichere Strukturen gegenseitig, damit die Kinder beim Lernen vorankommen. (Dies ins Stammbuch der Erfinder von Lernlandschaften und selbstorganisiertem Lernen…) Gerade in den heute oft heterogenen Schulklassen genüge Empathie des Lehrers nicht, sondern er müsse «auf zwei Beinen stehen»: Das zweite Standbein ist das «Gegenhalten, Intervenieren, Konfrontieren». (Stimmt, denkt die Leserin, als Lehrerin muss man immer «am Ball» sein, auch einmal bereit, ungewöhnliche und unvorhersehbare Wege zu beschreiten.) Wer sich in Carl Bossards Darlegung hineinbegibt, wird sich wieder einmal bewusst, wie spannend und anspruchsvoll der Lehrerberuf ist.
Den stärkenden Abschluss unseres Newsletters überlassen wir der Psychologin und Heilpädagogin Eliane Perret. Wie können wir Erwachsenen dazu beitragen, dass unsere Jugendlichen die innere Kraft entwickeln, um auch in schwierigen Situationen «dem Sturm zu trotzen»? Dazu gehört die Aufgabe der Schule, die Kinder «zu selbständig denkenden mündigen Staatsbürgern heran(zu)bilden». Die Autorin ruft die Bildungsverantwortlichen dazu auf, untaugliche Schulreformen zu korrigieren. (Ja, überlegt die Leserin, Eigenverantwortung und Gemeinschaftssinn lernt ein Kind nicht in isolierten Lernnischen und mit ständig wechselnden Lehrerinnen, welche die Schüler «coachen»). In diesem Sinne schreibt Eliane Perret: «Die Schulklasse muss ein wichtiges Modell des Zusammenlebens sein, wo ein Kind erleben kann, wie man sich in gemeinsamer Arbeit und mit der nötigen Sorgfalt Wissen aneignet und gegensätzliche Standpunkte im Dialog und gegenseitigem Respekt diskutiert, sich in das Anliegen des Gegenübers einfühlend.»
Nun wünschen wir Ihnen viele spannende Momente bei der Lektüre.
Marianne Wüthrich