Die Schule als Ort des Lehrens und des Lernens – duale Berufsbildung als Aufsteller
«Schule geben» – verblüffend einfach?
Vier gestandene Lehrer sind sich einig, was es braucht, damit Unterricht gelingen kann: Einen Erwachsenen, der mit seiner Klasse in Beziehung tritt, der mit ihnen den Lernstoff erarbeitet und ihnen hilft, zu einer Gemeinschaft zu werden. Einen Pädagogen, der sicher ist, dass die Schüler keinen Coach brauchen, sondern einen «Oberbandenführer», eine «Leitfigur», oder wie immer wir es nennen wollen. Keine noch so ausgeklügelte Lernsoftware kann die Lehrerin überflüssig werden lassen. In diesem Sinn beschreibt Allan Guggenbühl im ersten Beitrag unseres Newsletters die Lehrerrolle, und Max Knöpfel stimmt ihm in seinem Leserbrief zu: Nötig seien Lehrer, die «bereit und fähig sind, als Leit- und Führungspersonen einen konzentrierten und disziplinierten Unterricht zu ermöglichen.» Dieses «verblüffend einfache Rezept» genüge, um den Schwächen des Lehrplan 21 mit seinem Konstrukt des «selbstorganisierten Lernens» etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen.
Verblüffend einfach? Vergessen wir Lehrer mit langjähriger Erfahrung nicht, wie wir unsere ersten Schritte als Berufsanfänger gegangen sind! Wie froh waren wir um die erprobte Praktikumslehrerin, um den erfahrenen Kollegen im Nebenzimmer. Wie gern haben wir das Angebot angenommen, über unsere schiefgegangenen Versuche zu reden und von der persönlich gereiften Kollegin, die sich ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst war, eine adäquate Anleitung und einen Ausblick zu erhalten. Wisst ihr' s noch?
Solche Leitpersonen bräuchten auch die heutigen Junglehrer, die in den Pädagogischen Hochschulen sitzen und gerne gute Lehrer werden möchten. Denn Schule geben kann man nicht einfach, und man lernt es nicht im Handumdrehen. Es braucht Geduld und die Beharrlichkeit, eine «gute Lehrerin» werden zu wollen – und es braucht Anleitung durch erfahrene Lehrer, die ihren reichhaltigen Fundus gerne weitergeben.
«Machs na» als «didaktisches Minimum»
Der Dritte im Bunde der erfahrenen Pädagogen in unserem Newsletter, Carl Bossard, greift einen der zentralen Bausteine auf, ohne den das Lernen nicht funktioniert: Vorzeigen und Nachmachen. Er erinnert an das Sprechenlernen, das Schuhe-Binden und vieles mehr, das nur so gelernt werden kann. Und er weist darauf hin, dass diese «Urform des Lernens» in der heutigen Lehrerbildung als «lehrerzentriert und direktiv» abgestempelt wird, stattdessen dominiere der «Kreativitätsimperativ».
Das erinnert mich an mein Nachbarskind indischer Herkunft, dessen Eltern nur gebrochen Deutsch sprachen. In 7 Jahren Volksschule in der Stadt Zürich lernte sie kaum etwas über den deutschen Satzbau, die Rechtschreibung und Grammatik, geschweige denn über den Aufbau einer Erzählung. In der 2. Sek B musste sie eine Erzählung über einen Ausflug schreiben – ganz «kreativ». Und das tat sie: seitenlang, ohne Einleitung, ohne Punkt und Komma, kaum ein Satz war richtig, der Wortschatz schmal und die Wortwahl häufig unpassend, von den zahlreichen sprachlichen Fehlern gar nicht zu sprechen. Die Lehrerin gab diese «kreative» Arbeit ohne Korrekturen und ohne mündliche Besprechung zurück, einzig mit einem «Sehr gut!» am Schluss des Textes. Auf meine Bemerkung: «Aber die Fehler hat sie nicht korrigiert», fragte die Schülerin erstaunt zurück: «Hat es denn Fehler?»
Arme Kinder! Wie sollen sie ihren Weg in die Berufswelt gehen ohne wenigstens minimale Grundlagenkenntnisse in Deutsch und oft auch in Mathematik? Aber ich weiss, es nützt nichts, wenn ich mich darüber ärgere. Wir können nichts anderes tun als unsere Kollegen Carl Bossard, Allan Guggenbühl, Max Knöpfel – und zum Glück noch ein paar andere: nicht aufgeben und immer wieder einfordern, dass die Volksschule dazu da ist, für eine gute Volksbildung zu sorgen, und dass die Lehrer entsprechend auszubilden sind.
In diesem Sinne setzt sich Hans-Peter Köhli in seinem Leserbrief einmal mehr für eine Volksschule mit Klassenunterricht und Kleinklassen ein. Das wäre gescheiter, als (wie in Schweden) mit Bildungsgutscheinen den «Run auf Privatschulen» anzukurbeln, «wo Lehrer unterrichten können und Schüler lernen». Echte Chancengleichheit heisst, dass jedes Kind in der staatlichen Volksschule einen Ort vorfindet, wo es adäquat unterrichtet wird und entsprechend gut lernen kann.
Vielleicht ist wieder einmal eine Volksinitiative fällig? Die Basler Kollegen machen es vor («Jetzt soll das Volk die Kleinklassen ermöglichen»)!
Der Segen der dualen Berufsbildung
Damit kommen wir zum zweiten Block unseres Newsletters, in dem es um die Schweizer Berufsbildung geht. Dabei wird mir als langjähriger Berufsschullehrerin wieder etwas leichter ums Herz. Dank der vielfältigen Möglichkeiten, die unsere Unternehmen der Jugend anbieten, kann auch heute jeder junge Mensch – falls er nicht weiter den schulischen Weg beschreiten will – seinen Platz im Berufsleben finden. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass er bereit ist, seinen Teil dazu beizutragen.
«Die Angst der Eltern vor der Realschule» ist deshalb nur bedingt am Platz. Sicher gibt es Lehrbetriebe, die für bestimmte Berufe nur Sek A-Schüler nehmen wollen. Aber es gibt auch viele Lehrmeister, die nicht als Erstes auf den Schultyp abstellen und schon gar nicht auf die oft nicht realistischen Zeugnisnoten, sondern sich selbst ein Bild von den Jugendlichen machen wollen. Erfahrene Ausbildner haben schon sehr gefreute Lehrlinge aus der Sek B oder C erlebt und auch den einen oder anderen weniger gefreuten aus der Sek A. Allfällige Lücken aus der Volksschule kann man stopfen, wenn man will und sich dabei helfen lässt. Auch aus meiner Berufsschulzeit habe ich eine ganze Reihe von Realschülern in Erinnerung, die Mut fassten, wenn sie im Betrieb und in der Schule das Erlebnis machten: Ich kann das auch lernen! Für manche gab es dann kein Halten: Sie wurden zu Spitzenschülern und -lehrlingen, wurden nach der Lehre rasch befördert oder hängten eine anspruchsvolle weitere Ausbildung an.
«20 Minuten» hat am 24.Januar ein spritziges und informatives «Bildungsspecial» veröffentlicht, daraus drucken wir die Artikel zur Schnupperlehre und zum Lehrabbruch ab. Erfreulicherweise unterstützen die meisten Oberstufenlehrer ihre Schüler aktiv, indem sie mit ihrer Klasse Lehrbetriebe und das BIZ besuchen, den Ausbildnern einzelne Jugendliche zum Schnuppern empfehlen, ihrer Klasse konkret zeigen, wie man sich um eine Lehrstelle bemüht – inklusive pünktliches Erscheinen und andere Verhaltensregeln.
Den Eltern ihrerseits ist zu empfehlen, ihr Kind bei seiner Berufswahl zu unterstützen, auch wenn es nicht den Traumberuf (der Eltern) wählt. Unser Bildungssystem ist durchlässig, und wer bereit ist zu lernen und sich durchzuboxen, erhält immer wieder eine Chance im Leben.
Ganz zum Schluss: Stabiler Beginn der Schulkarriere im Kindergarten
Den Abschluss macht ein Pro & Kontra zum flexiblen Einstieg in den Chindsgi. Während der Kinderpsychiater Oskar Jenni je nach Entwicklungsstand des einzelnen Kindes einen Beginn auch im Februar oder sogar zu mehreren Zeitpunkten des Schuljahres vorschlägt, weist der Pädagoge und Lehrer Carl Bossard darauf hin, dass als Erstes der Aufbau einer möglichst konstanten Klassengemeinschaft im Zentrum stehen muss, weil damit für alle Kinder ruhige und stabile Beziehungen zur Lehrerin und zu den Gschpänli entstehen und wachsen können. Das Wohl des Kindes beruht nicht nur auf der individuell «besten» Situation, sondern auch darauf, sich in seiner Gruppe einzuleben und mitzutun.
Nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Stöbern in unseren Texten.
Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich
Marianne Wüthrich