Dauerbrenner: KV-Umbau und Gender-Absurditäten
Der Widerstand gegen die fragwürdige Umpflügung der für die Schweiz systemrelevanten KV-Lehre ist nun auch in Bundesbern angekommen. Die parlamentarischen Bildungskommissionen befassen sich damit, und der Waadtländer Bundespräsident soll versuchen, das Fach Französisch (ebenfalls systemrelevant, nämlich für den innerschweizerischen Zusammenhalt!) vor dem Gestrichenwerden zu retten. Raphaela Birrer stellt im Tagi noch einmal die gröbsten Brocken des Reformprojekts zusammen.
Grundlegender Konstruktionsmangel: Wirtschaftspädagoge Rolf Dubs meldet sich zu Wort
Offenbar ist Rolf Dubs in fortgeschrittenem Alter darauf gekommen, dass kompetenzorientierte Lehrpläne doch nicht das Gelbe vom Ei sind. Jedenfalls spricht er heute eine deutliche Sprache: «Ich bin der Überzeugung, dass der Übergang der Gliederung des Lehrplanes auf Handlungskompetenzbereiche und nicht auf Fächer in der vorliegenden, absoluten Form unglücklich ist.» Er vermisse eine Definition, «welches Wissen angehende Kaufleute in ihrer beruflichen Grundbildung erwerben sollen». Damit fehle ein konstitutives Element der Reform. «Ohne gut strukturiertes Wissen», so der Autor, «lässt sich kein guter Lernerfolg erzielen.» Es sei eine Illusion zu glauben, Wissen könne durch den Beizug digitaler Geräte und mit selbstgesteuertem Lernen «ohne angeleiteten Unterricht» erworben werden. Weiter kritisiert Rolf Dubs die Reduktion der Volkswirtschaft auf wenige Themen und den mangelhaften Deutschunterricht.
Auch hält er am Fachunterricht fest, jedenfalls in den ersten Semestern. Es sei empirisch seit langem belegt, dass «in einer Anfangsphase ein guter fächergebundener dialogischer Frontalunterricht lernwirksam ist». Da eine KV-Lehre drei Jahre dauert, wäre für interdisziplinären Unterricht demnach vor allem das dritte Jahr geeignet, das heute schon zum Teil für fächerübergreifende Projekte genutzt wird. Dabei können die Schüler ihr in den ersten Semestern erworbenes Grundlagenwissen anwenden und festigen.
Was die Zukunftstauglichkeit der Reform betrifft – womit deren Urheber ihre Umwälzungen ja begründen! – setzt Dubs ein grosses Fragezeichen: «Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird ein gut strukturiertes Grundlagenwissen, das in einem anfänglich angeleiteten Unterricht erworben wurde, für das Verständnis von Neuem zunehmend bedeutsamer.»
Da sind wir uns ja ganz einig – lieber spät als nie.
Gendersprache zum Ersten: "Ich finde, es wird zu viel darüber diskutiert."
Sternli* oder Binnen-I oder Lehrer-/innen? Oder die Umwandlung von Lehrern und Schülern mit Hilfe des Partizip Präsens in «Lehrende» und «Lernende»? Die Verschwendung unserer Zeit mit Absurditäten aller Art nimmt kein Ende. Nun gibt die «Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung» eine neue Broschüre mit «Sprachtipps» heraus, in der auch der sogenannte Genderstern empfohlen wird («Die Gender-Debatte greift jetzt auf die Zürcher Schulen über»). Derweil fordert LCH-Präsidentin Dagmar Rösler einheitliche Richtlinien für die Deutschschweizer Schulen. Die gibt es übrigens schon längst, jedenfalls für die Bundesverwaltung: 2009 hat die Bundeskanzlei in 2. Auflage ihren «Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen» herausgegeben, 192 Seiten lang. Zweck der umfangreichen Übung: «Mit geschlechtergerechten Formulierungen werden Frauen nicht mehr nur implizit mitgemeint, sondern explizit genannt und angesprochen. Sie werden sprachlich sichtbar, sie treten in Erscheinung und rücken ins Bewusstsein. Damit leisten geschlechtergerechte Formulierungen einen – nicht unwichtigen – Beitrag zur tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Denn Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit sind nicht voneinander zu trennen.» (Seite 13)
Tatsächlich? Mir persönlich ist es eigentlich Hans was Heiri (oder muss ich sagen: Hanni was Heidi?), ob ich implizit oder explizit angesprochen werde – Hauptsache, ich bin auch dabei und werde respektiert und ernstgenommen. Ganz in diesem Sinne äussern sich auch die vom Tagi befragten Zürcher Berufsmittelschüler («Genderstern? Ja, nein, vielleicht»). Andrea: «Ich finde die ganze Diskussion unnötig. Wenn man 'Schüler' sagt, muss ich nicht immer denken, dass ich nicht mitgemeint bin. Sagt man 'Schülerinnen und Schüler', kommen immer die Frauen zuerst. Das ist auch nicht fair. Ich finde, es wird zu viel darüber diskutiert.» Alle nicken. Eine Mitschülerin ergänzt, es sei vor allem ein Medienthema, ein anderer findet es übertrieben, dass die Gender-Sprache zu einer gerechteren Welt führen soll. – Unsere Jugend gibt Anlass zur Hoffnung!
Gendersprache zum Zweiten: Sprachverhunzung und Ideologisierung
Aktuell schaltet sich die Bundeskanzlei in die sooo bedeutende Genderstern-Debatte ein, mit einer Weisung, die allerdings nur für die deutschsprachigen Texte des Bundes gilt («Umgang mit dem Genderstern und ähnlichen Schreibweisen in deutschsprachigen Texten des Bundes. Weisung und Erläuterungen der Bundeskanzlei vom 15. Juni 2021»). Darin kommt die Bundeskanzlei zur weisen Erkenntnis, der Genderstern und ähnliche Konstruktionen würden nicht das leisten, was sie leisten sollten, ausserdem «verursachen sie eine ganze Reihe von sprachlichen Problemen». Ein Beispiel, das laut Bundeskanzlei die Lesbarkeit des Textes beeinträchtigt: «Der*die Leiter*in bezeichnet eine*n geeignete*n Mitarbeiter*in, die*der ihn*sie bei Abwesenheit vertritt».
Mit Recht bezeichnet Pascal Frey, Präsident des Vereins der Schweizer Deutschlehrerinnen und -lehrer (VSDL) derlei Gender-Verbiegungen der deutschen Sprache, denen wir seit Jahren ausgesetzt sind, als «Sprachverhunzung». Die Leserbriefschreiber in unserem Newsletter schreiben ebenfalls Klartext: Sie fordern ein Verbot des Gendersterns in den Schulen sowie den Verzicht auf das Stadtzürcher Gleichstellungsbüro, sie empfehlen, die Lehrer auf den Duden zu verweisen, eine Leserin nennt diese Diskussionen «Luxusprobleme» und verlangt, sich den echten sozialen Problemen zuzuwenden.
Die Redaktion des Tages-Anzeigers löst die Sache sinnvoll und ohne grosses Trara: «Unsere aktuelle Richtlinie lautet, wenn möglich beide Geschlechter zu nennen oder die beiden Formen abzuwechseln.» («Genderstern? Ja, nein, vielleicht») So halte ich es auch, allerdings ohne die gleichmässige Verwendung männlicher und weiblicher Formen zu zählen.
Die Behauptung von LCH-Präsidentin Dagmar Rösler, die Schule vermittle keine Ideologien, wird zum Beispiel durch die Aussage eines der befragten BM-Schüler widerlegt: «Man muss immer aufpassen, was man sagt. Im Sinne von, was denkt er dann von mir, denkt er, dass ich gegen Feminismus bin. Was nicht der Fall ist. Aber ich finde, Sprache sollte frei sein.» Was ist denn das anderes als eine Ideologie, wenn ein junger Mensch sich nicht frei fühlt, das auszudrücken, was er sagen möchte? Oder wenn Rösler erklärt, viele Erwachsene würden «die Kinder in bestimmte Rollen drücken» und Eltern, Lehrerinnen und Lehrer hätten die Aufgabe, «diese Stereotype aufzubrechen beziehungsweise aufzuweichen.» Nach Unterstützung unserer Jugend, ihren Lebensweg in freier Wahl und mit ihren Eltern an der Seite zu beschreiten, klingt es jedenfalls nicht.
In eine ähnliche Richtung geht der anschliessende Artikel «Amerikas Eltern proben den Aufstand», der die Indoktrinierung der US-amerikanischen Jugend mit «Anti-Rassismus» thematisiert.
Noch ein Dauerbrenner: Die Digitalisierung
In den letzten zwei Artikeln unserer Sammlung wird das bestätigt, was viele Pädagogen schon seit langem sagen: Der Computer muss in der Schule ein Hilfsmittel bleiben, denn die Lehrer-Schüler-Beziehung kann er nie und nimmer ersetzen. Wer glaubt, es brauche eben mehr «Überzeugungsarbeit» und einen «Kulturwandel», um die digitale Lernwelt in Schwung zu bringen, verkennt die grundsätzlichen Abläufe und Voraussetzungen des Lernens. So weist Klaus Zierer auf Studien hin, wonach «die Mitschrift von Lerninhalten mit Papier und Bleistift allen Formen digitaler Notizen in vielfacher Hinsicht überlegen ist» und «das Lesen von und Lernen mit analogen Texten nachhaltiger ist, weil langsamer und damit tiefgründiger gearbeitet wird als mit digitalen Texten. Diese werden häufig schnell weggewischt, was der Sinnentnahme und dem Leseverständnis schadet.»
Nun bleibt uns noch, Ihnen eine erspriessliche Lektüre und eine erholsame Sommerpause zu wünschen.
Für die Redaktion des Zürcher Newsletters:
Marianne Wüthrich