Lebendiger Klassenunterricht als Ansporn zum motivierten Lernen
Wenn eine Schülerin nach einer eher verkorksten Primarschulzeit in der Oberstufe aufblüht und einen erfolgreichen schulischen Weg einschlägt, ist das wirklich Grund zur Freude. Die Sonntagszeitung hat die ungewöhnliche Schullaufbahn einer Schülerin von der Sek B bis ins Gymnasium festgehalten. Dabei zeigte sich, dass die Sekundarlehrerin eine entscheidende Rolle für die Entfaltung des Potenzials der Schülerin spielte. Die Lehrerin förderte das aufgeweckte Mädchen optimal und verstand es, offenbar in der ganzen Klasse eine Aufbruchsstimmung zu schaffen. Zwar sind Übertritte von der Sek B ins Gymnasium äusserst selten, da bei „Spätzündern“ mit hohem Lernpotenzial bereits während der Sekundarschulzeit eine Aufstufung in die Sek A erfolgt. Es bleibt aber die erfreuliche Tatsache, dass Jugendliche aus gut geführten Sek B-Klassen oft bemerkenswerte schulische und berufliche Laufbahnen einschlagen.
Im gegenwärtigen Hype der schulischen Digitalisierung scheint in vielen Kreisen die Rolle der Lehrpersonen zu verblassen. Nicht die Kunst des motivierenden und kompetenten Unterrichtens steht im Vordergrund, sondern die neuen Möglichkeiten digitaler Lernprogramme. Wer jedoch das oft labile Lernverhalten jüngerer Teenager kennt, weiss wie zentral ein starkes Beziehungsband zwischen Lehrerin und Schülerin ist. Dieses schliesst digitale Techniken sicher nicht aus, prägend jedoch bleibt die motivierende Ausstrahlung einer Lehrerpersönlichkeit im lebendigen Klassenunterricht und im persönlichen Gespräch.
Trendige Didaktik futiert sich um Erkenntnisse der Hirnforschung
Gleich in vier unserer Beiträge wird mit den teils falschen Annahmen der radikalen Digitalisierungsbefürworter aufgeräumt. Carl Bossard greift in seinen erhellenden Kommentaren Forschungsergebnisse des renommierten Neurologen Lutz Jäncke auf. Dieser übt scharfe Kritik an der von neuen pädagogischen Strömungen propagierten Methode des selbständigen Lernens bei Pubertierenden. Carl Bossard erinnert daran, dass Lernautonomie schrittweise aufgebaut werden muss und der Gehirnentwicklung nicht vorauseilend verlangt werden kann. Kinder und Jugendliche brauchen für eine gesunde schulische Entwicklung gezielte Anregungen und freundliche Führung von einem lebendigen Gegenüber. Moderne Lernprogramme können zwar den Wissensstand eines Schülers nach einiger Zeit erfassen und individualisierte Aufgabenstellungen schaffen. Doch Computer verfügen über keine empathischen Fähigkeiten und sehen das pädagogische Ganze überhaupt nicht.
Eigentlich sind die genannten Forschungsergebnisse und Erfahrungstatsachen schon länger bekannt. Doch viele digitale Reformer scheinen davon wenig beeindruckt zu sein. Sie gehen weit über die Forderung nach einer guten digitalen Ausrüstung aller Schulen hinaus und sprechen von der Notwendigkeit, die Lernprozesse umfassend auf digitale Programme auszurichten. Dieser nebulose Fortschrittsglaube wird in einem klug analysierenden Beitrag einer Primarlehrerin und in einem mutigen NZZ-Gastbeitrag eines Autorenteams ziemlich zerzaust.
Besserer Präsenzunterricht ist die passende Antwort
Dass wir Fragen der Digitalisierung nicht nur theoretisch abhandeln, sehen Sie im Bericht des Condorcet-Autors Philipp Loretz über die Zeit des Corona-Fernunterrichts mit seiner Schulklasse. Der digital versierte Schulpionier zieht eine lesenswerte Bilanz über das vergangene aussergewöhnliche Schulquartal. Auch wer kritisch einer weitgehenden Digitalisierung des Unterrichts gegenübersteht, wird dem engagierten Fernunterricht unseres Lehrerkollegen einiges abgewinnen können.
Letztlich aber dreht sich alles um die Frage, welcher pädagogische Mehrwert mit einer schulischen Digitalisierung erreicht wird. Vergleicht man moderne Lernprogramme und interaktive Lernmedien mit einem schwachen Präsenzunterricht, dann wird beim digitalen Lernen mehr herausschauen. Unterrichtet jedoch eine in jeder Hinsicht kompetente Lehrerpersönlichkeit eine lebendige Klassengemeinschaft, dann zeigen sich die Vorzüge einer unmittelbaren Didaktik in aller Deutlichkeit. Deshalb spielt es eine zentrale Rolle, dass Lehrerinnen und Lehrer primär für einen qualitativ hochstehenden Präsenzunterricht ausgebildet werden. Da besteht durchaus Verbesserungspotenzial. Die digitalen Neuerungen können unter diesem Aspekt als anspornende Herausforderung gesehen werden. In den beiden Leserbriefen am Schluss unserer Ausgabe sind diese Gedanken ausführlicher formuliert.
Willkommene Sommerpause
Zum Schluss noch etwas in eigener Sache. Wir sind froh, dass Ruedi Richner, unser stiller Schaffer im Redaktionskollegium, nach einem Herzinfarkt seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Ohne sein grossartiges Engagement hätte dieser Newsletter nicht erscheinen können.
Nach dieser Ausgabe zum Ende eines turbulenten Schuljahrs legen wir eine Pause bis nach den Sommerferien ein. Das Redaktionsteam wünscht Ihnen eine erholsame Zeit und Musse bei der Lektüre der spannenden Beiträge.
Für die Redaktion von «Starke Volksschule Zürich»
Hanspeter Amstutz