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Newsletter vom 26.4.2020

Corona verändert die Sicht auf das Unterrichten

Die Corona-Krise hat Menschen in sozialen Berufen ins Rampenlicht gerückt. In Notzeiten sind wir ganz besonders auf qualifizierte Helferinnen und Helfer angewiesen, die ohne zu zögern sich voll zugunsten ihrer Mitmenschen einsetzen. Der gute Wille, dass jeder an seinem Platz seinen Beitrag zur Meisterung der Krise leistet, ist fast überall zu spüren. An allererster Stelle steht dabei das Pflegepersonal in den Spitälern, das täglich stille Heldentaten am Bett von Schwerstkranken vollbringt. Auf einmal merken alle, wie wichtig motiviertes Personal im Gesundheitswesen ist.

Mit der Schliessung der Schulen erscheint auch der Bereich der Bildung und Erziehung in einem völlig anderen Licht. Was ist zu tun, dass die Kinder nicht wochenlang unbeschäftigt sind und den Schulstoff vergessen? In Rekordzeit haben die Lehrpersonen ihr Schulprogramm umgestellt und richten sich auf Fernunterricht ein. Die einen probieren es digital, andere verschicken analoge Aufträge per Post und scheuen keine Mühe, immer wieder telefonischen Kontakt zu ihren Schützlingen herzustellen. Die wenigen schwarzen Lehrer-Schafe, die im Beitrag von Nadja Pastega erwähnt werden, sind zum Glück die unschöne Ausnahme.

Unzählige Mütter sind bereit, als Hilfslehrerinnen ihren Kindern beizustehen und mit abwechslungsreichen Spiel- und Bastelprogrammen ihren Nachwuchs bei Laune zu halten. Doch schon nach der ersten Woche ist klar,dass Homeschooling gar nicht so einfach ist. Kinder stundenlang ausserhalb einer lebendigen Klassengemeinschaft zum Lernen anhalten zu wollen, bedeutet viel Herkulesarbeit. Der Bericht von Judith Luig gibt da einen herrlichen Einblick in den Seelenzustand geplagter Mütter in der Coronazeit.

Erfreulich ist, dass die Arbeit engagierter Lehrerinnen und Lehrer positiver gesehen wird als vor der Krise. Bildung lässt sich nicht auf Knopfdruck installieren und jeder noch so gute digitale Fernunterricht kann einen guten Präsenzunterricht in den Schulen nicht ersetzen. Selbst Schüler, die ja gerne einmal über die blöde Schule schimpfen, sehnen sich nach der Geborgenheit einer dynamischen Klassengemeinschaft.

Bei all dem grossen Aufwand stellt sich die Frage, wie effektiv die Bildungsbemühungen dieser Tage in Tat und Wahrheit sind. Die Sekundarlehrerin Laura Saia zieht in ihrem Bericht über den Fernunterricht bereits ein erstes Fazit. Sie kommt zum Schluss, dass nur eine Konzentration auf wesentliche Lerninhalte Erfolg hat und zu viele Bildungsziele die Jugendlichen nur verwirren.  Sie meint, dass eine Durchforstung der überladenen Stoffprogramme in der Zeit nach Corona der Schule gut tun würde.

Die Digitalturbos hingegen setzen ganz auf eine Vorwärtsstrategie. Hätten wir nach ihren Vorstellungen die Schüler rechtzeitig mit eigenen Tablets ausgerüstet und das Verhalten im digitalen Klassenzimmer eingeübt, würde der Fernunterricht überall zum Erfolg. Es ist zu befürchten, dass sich manche Bildungspolitiker durch die Propagierung eines raschen digitalen Schubs als Wegbereiter des pädagogischen Fortschritts in Szene setzen möchten. Wie es dabei um die Lerneffizienz steht, kümmert sie weniger.

Genau diese Frage nimmt Carl Bossard auf, wenn er vom Schulzimmer als Resonanzraum spricht. Damit meint er, dass im Gegensatz zu digitalen Lernprogrammen jeder Schüler und jede Schülerin im unmittelbaren Unterricht differenzierte Rückmeldungen eines lebendigen Gegenübers erhält. Lehrerinnen und Lehrer motivieren durch ihre unmittelbare Präsenz, ihr ermutigendes Lob und ihre Begeisterung für die vermittelten Inhalte. Es ist kein Zufall, dass die meisten Schüler bei längeren digitalen Trainingssequenzen viel früher abhängen als in einer abwechslungsreichen analogen Übungslektion. 

Wo also soll die Schule investieren, wenn die Krise vorbei ist? Leider ist nicht von der Hand zu weisen, dass selbst in der Lehrerbildung die unreflektierte Forderung nach einer radikalen Umstellung auf digitales Lernen offensichtlich an Einfluss gewinnt. Statt dem für den Schulerfolg so wichtigen gemeinsamen Klassenunterrichtvolle Aufmerksamkeit zu schenken, wird vielerorts in der Fachdidaktik noch immer abwertend von einem rückwärtsgewandten „Frontalunterricht“ gesprochen. Diese Gedankenlosigkeit nehmen wir in dieser Ausgabe scharf aufs Korn.

Mit ganz praktischen Dingen der Coronazeit befassen sich die weiteren Beiträge. Stärker von der Krise betroffene Kantone sind nicht glücklich, dass die Schulen bereits am 11. Mai wieder geöffnet werden sollen. Uneinigkeit herrscht auch bei den Zeugnisnoten. Die meisten Kantone haben beschlossen, auf Noten in diesem Semester zu verzichten. Bei den Schülern lösten diese Ankündigungen ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Von Bedauern bis unverhohlener Freude über ein gemütliches Semesterende ist im Beitrag einer Gratiszeitung zu lesen.

Während man für den Notenverzicht in der Volksschule Verständnis aufbringen kann, ist die Absage der schriftlichen Maturaprüfungen trotz organisatorischer Herausforderungen kaum zu rechtfertigen. Wieso ausgerechnet 18-jährigen Maturandinnen und Maturanden nicht zugemutet wird, bereits vermittelten Schulstoff zuhause auf eine Abschlussprüfung hin zu repetieren, bleibt schleierhaft. Mit Recht kritisiert eine NZZ-Redaktorin den mutlosen Weg des geringsten Widerstands, den einige Bildungsdirektionen eingeschlagen haben.

Den erfreulichen Schlusspunkt bildet ein Interview mit der Verlagsleiterin des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SJW). Die Direktorin ist überzeugt, dass spannende Kinder- und Jugendliteratur auch in Zukunft gut ankommt, wenn die Kultur des Lesens geschickt gefördert wird. Das Abenteuer des Lesens habe nichts an Attraktivität eingebüsst.

Diese Leselust wünschen wir Ihnen auch bei der Lektüre unseres Newsletters.

Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich

Hanspeter Amstutz

Inhalt

  • Corona verändert die Sicht auf das Unterrichten
    Hanspeter Amstutz, 25.4.2020
  • Das Schulzimmer – Resonanzraum oder Digitalareal?
    Journal21, 18.4.2020, Carl Bossard
  • Homeschooling: Jetzt wird zurückgebildet
    Zeit online, 27.3.2020, Judith Luig
  • «Es gibt Lehrer, von denen hört man so gut wie gar nichts»
    Sonntagszeitung 12.4.2020, Inside Homeschooling, Nadja Pastega
  • Mein Klassenzimmer ist auf 15.4 Zoll geschrumpft
    Tages-Anzeiger 22.4.2020, Debatte, Patrick Hersiczky
  • Gedankenarchiv des Fernunterrichts
    NZZ 21.4.2020, Meinung & Debatte, Gastkommentar von Laura Saia
  • Schwierige Rückkehr in die Klassenzimmer
    NZZ 21.4.2020, Schweiz, Erich Aschwanden
  • Schulöffnungen: Kantone wollen die Macht
    Tages-Anzeiger 23.4.2020, Schweiz, Philippe Reichen und Luca De Carli
  • Primarlehrer auf Distanz, Schüler nicht
    Tages-Anzeiger 25.4.2020, Schweiz, Philippe Reichen
  • Wie Schule zu Coronazeiten funktioniert
    Tages-Anzeiger 24.4.2020, International, Kai Strittmatter, Kopenhagen
  • Lernen in Schichten und ohne Pause: So läuft Schule in Corona-Zeiten
    Haller Kreisblatt, 24.4.2020, Heiko Kaiser
  • Bei den Zeugnisnoten herrscht Uneinigkeit
    NZZ 23.4.2020, Schweiz, Lukas Mäder
    Probleme bei den Langgymnasien
  • «Ich bin enttäuscht, dass es kein Zeugnis gibt»
    20Minuten 21.4.2020
  • Zürich will Maturaprüfungen kippen
    NZZ 23.4.2020, Front, Erich Aschwanden
  • Es braucht schriftliche Maturaprüfungen
    NZZ 24.4.2020, Meinung & Debatte, Larissa Rhyn
  • Frontalunterricht - Paradebeispiel eines gezielt abwertenden Begriffs
    4.2020, Hanspeter Amstutz
  • «Lasst die Kinder lesen. Egal was
    Bildung Schweiz, April 2020, Interview Patricia Dickson