Mehr Bildung und grössere Chancengleichheit mit weniger Computer-Lernen
Diesmal finden Sie neben den kleineren und feineren Texten – aus der pädagogischen Feder von Carl Bossard oder aus der unentbehrlichen Leserbrief-Schmiede von Hans-Peter Köhli – auch einige längere Artikel. Sie alle bestätigen letztlich die Notwendigkeit des Zürcher Newsletters und des persönlichen Einsatzes eines jeden von uns für eine gute Bildung unserer Jugend.
So führt Peter Aebersold («Direkte Instruktion gewinnt!») Langzeitstudien aus den USA an, welche die deutliche Überlegenheit des lehrergeführten Unterrichts, gegenüber sogenannt offenen Unterrichtsformen, selbstgesteuertem Lernen und Kompetenzorientierung belegen. Trotzdem werden letztere Methoden weiterhin in den USA, und über die OECD auch in Europa, mit kräftiger Mithilfe von Bill Gates und Mark Zuckerberg (die ihre eigenen Kinder in eine Schule ohne Computer schicken) propagiert und durchgesetzt.
Bessere Bildungsgerechtigkeit durch Berücksichtigung der Mängel der Technologie
Faszinierend ist die Herangehensweise der amerikanischen Journalistin Natalie Wexler an Nutzen und Schaden der Digitalisierung («Wie Technologie die Schüler bremst»). Sie spricht bei einem Schulbesuch mit Kindern, die auf ihren Bildschirm starren und nicht weiterkommen. So erfährt sie, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Verhältnissen am selbstorganisierten Lernen scheitern, weil sie zum Beispiel Wörter wie «addieren» oder «vor» in ihren Lernprogrammen nicht verstehen. Die Autorin führt unter anderem eine Studie der OECD in sämtlichen Mitgliedsländern an, die zum Schluss kommt, dass Schüler und Studenten aller Schulstufen und verschiedener sozialer Hintergründe, die häufig mit Computern arbeiten, bei den meisten Tests viel schlechter abschneiden als andere. Wexler nennt ausserdem eine ganze Reihe von Ursachen für das Versagen der digitalisierten Schulzimmer. Eine der wichtigsten ist die geringere Motivation der Schüler, wenn sie von einem iPad statt von einem Lehrer angeleitet werden. – Dies nur einige Punkte aus dem menschlich eindrücklichen und inhaltlich ergiebigen Artikel.
Wie kommt die Volksschule zu mehr Chancengleichheit?
Mit der schwierigen Aufgabe der Volksschule, Chancengleichheit für Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten zu schaffen, befasst sich Franz Derendinger in «Potemkinsche Pädagogik». Es ist ihm zuzustimmen, dass die pädagogische Machbarkeit der Integrationsschule als «soziale Reparaturwerkstatt», welche die ungleichen Startchancen der Kinder in ihrem Elternhaus zu kompensieren habe, illusionär ist. Zweifellos haben Kinder, mit denen zu Hause von klein auf gesprochen, vorgelesen und gespielt wird, einen Vorteil, der später in der Schule nur sehr schwer zu kompensieren ist – schon gar nicht in der integrierten Schule. Recht hat er auch damit, dass die Individualisierung die Ungleichheiten nicht vermindert, sondern im Gegenteil verschärft. Allerdings ist die Theorie, die sogenannte «klassenlose Gesellschaft» würde die ungleichen Chancen der Kinder aus der «Unterschicht» beheben, zu mechanistisch und entspricht nicht heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ausserdem ist es selbstverständlich auch in der heutigen Gesellschaft möglich, dass die Volksschule allen Kindern, auch denen mit wenig Deutschkenntnissen oder aus sogenannt bildungsfernen Familien, in den elf Jahren vom Kindergarten bis zur Oberstufe einen gefüllten Rucksack mitgeben kann: Mit einem vom Lehrer geführten Klassenunterricht und einem strukturierten Aufbau des Lernstoffes, mit gemeinsamem Lesen und mit packenden Erzählungen über die Dinge und Geschehnisse der Welt. Und wo nötig in Kleinklassen, mit dem Ziel, jedes Kind so zu fördern, dass es baldmöglichst in die Regelklasse übertreten kann, um dort nicht nur seine Zeit abzusitzen, sondern dem Unterricht wie die Mitschüler folgen zu können.
Was die Schulreformer alles veranstalten
Noch ein Wort zur Inszenierung des Thurgauer Volksschulamts und der PHTG unter dem Motto «Sprachbeherrschung ist der Schlüssel zum Wissen». Wenn da der Chef der Volksschule und die PH-Rektorin die Binsenwahrheit von sich geben: «Alles Lernen hat mit Sprache zu tun», oder wenn sie jammern: «Am Ende der obligatorischen Schulzeit erreichen trotz des Engagements der Lehrpersonen nur rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Grundkompetenzen in Deutsch» – dann haben sie gefälligst die Verantwortung dafür zu übernehmen und die Ärmel zurückzukrempeln: Der Lehrplan 21, die dazugehörigen Lehrmittel und die Lehrerbildung sind zu ersetzen durch ein taugliches Lernkonzept.
Eine letzte Bemerkung zur «Spielwiese für Informatik-Nachwuchs». Da hat Franz Derendinger («Potemkinsche Pädagogik») schon Recht: Die ganze Förderung sogenannter «(Hoch-)-Begabter», die aus den integrierten und inkludierten Klassen herausgehoben und, bezahlt von der Wirtschaft, für eine gute berufliche Zukunft zurechtgeklopft werden, ist tatsächlich jenseits von jeder Chancengleichheit. Deshalb spricht man heute von Chancen«gerechtigkeit»: Gerecht ist es angeblich, wenn diejenigen die besseren Chancen haben, die mehr leisten… Als ob nicht jedes aufgeweckte und wissbegierige Kind auch in seiner Klasse und in der Freizeit genug Gelegenheiten zum Lernen und Tüfteln finden würde – Chancen an jeder Ecke! Kümmern müssen wir uns an erster Stelle um die anderen Kinder.
Wir wünschen viel Freude beim Lesen. Und schauen Sie sich doch hinten den Strauss von Veranstaltungen an: Besonders weisen wir auf den Vortragsabend der «Starken Volksschule Zürich» am 5. März zum Thema «Deutsche Sprache als Grundlage allen Lernens» hin.
Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich
Marianne Wüthrich
Inhalt
- Mehr Bildung und grössere Chancengleichheit mit weniger Computer-Lernen
1. Februar 2020 von Marianne Wüthrich - Vom magischen Dreieck der Pädagogik
Journal21 31.1.2020, Carl Bossard - Direkte Instruktion gewinnt!
Condorcet Bildungsblog 27. Januar 2020 · von Peter Aebersold - Wie Technologie die Schüler bremst
MIT technology Review 19.12.2019 von Natalie Wexler, Übersetzung Urs Kalberer - Potemkinsche Pädagogik
Journal21, 24.1.2020, Franz Derendinger - Lehrplan 21 verteuert auch die Schulhausbauten
Tagblatt der Stadt Zürich, 22.1.2020, Leserbrief von Hans-Peter Köhli, Zürich - «Sprachbeherrschung ist der Schlüssel zum Wissen»
Die Ostschweiz, 17.1.2020 - Spielwiese für Informatik-Nachwuchs
NZZ 25.1.2020, Zürich und Region, André Müller - Veranstaltungshinweise
19. Februar 2020: Ist neu immer besser?
5. März 2020: Deutsche Sprache als Grundlage allen Lernens
25. März 2020: Der schiefe Turm von Pisa – Schüler und Lehrer im (Test-)Stress
9. Mai 2020: Time for Change III: Balsam für die Lehrerseele.