Springe zum Inhalt

Newsletter vom 22.12.2019

Das Lesedebakel – ein Symptom für ein Bildungsprogramm mit zu vielen Schwerpunkten

Am Ende eines Jahres blickt man zurück und zieht Bilanz. Was hat uns dieses Jahr bildungspolitisch gebracht? In den Schulen sind die Lehrerinnen und Lehrer weiterhin damit beschäftigt, die im Lehrplan kumulierten aufwändigen Reformen der letzten Jahre in die Praxis umzusetzen. Es zeichnet sich bereits ab, dass vieles längst nicht so heiss gegessen wird, wie es gekocht wurde. Zum Glück für unsere Schüler sorgt gesunder Pragmatismus bei einem Teil der Lehrerschaft dafür, dass manches weggelassen wird, was für unsere Schüler schwer verdaulich ist.

Doch die Diskrepanz zwischen dem vorgegebenen Programm und dessen praktischer Umsetzung bleibt.Worauf kann man verzichten und wo geht es an die Substanz der vermittelten Inhalte? In einem Klima der hochgezüchteten Bildungserwartungen braucht es einigen Mut, die richtigen Entscheidungen fürs Wesentliche zu treffen. Dass Lehrpersonen sich fast täglich diese Fragen stellen müssen, ist eigentlich ein Zeichen, dass unser interkantonales Bildungskonzept nicht gut austariert und überladen ist.

Die belastende Verzettelung zeigt sich besonders im Bereich der sprachlichen Förderung. Das Lesedebakel fast bei der Hälfte unserer Schulabgänger beim jüngsten PISA-Test müsste eigentlich für die Bildungspolitik ein Weckruf sein, die Ziele im Sprachunterricht gründlich zu überprüfen. Für die meisten Lehrerinnen und Lehrer hingegen ist die Erkenntnis, dass beim Deutschunterricht erhebliche Mängel bestehen, keine Überraschung. Ihre Warnungen, dass für viele Schüler das frühe Lernen von gleich drei Sprachen auf Kosten der schulischen Erstsprache gehen würde, fanden kein Gehör. Wer glaubt, beim grundlegenden Lesetraining abkürzen und weniger Aufsätze schreiben zu können, ist auf dem Holzweg. Wer glaubt, den öffnenden Realienunterricht an den Rand drängen zu können, verkennt dessen Bedeutung für den Wortschatzerwerb und die mündliche Sprachkompetenz.

Deutschförderung ist eine zentrale Aufgabe der Volksschule. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die öffentlichen Diskussionen in den letzten Jahren mehr um die frühen Fremdsprachen als um die Kenntnisse unserer Schüler im Deutsch drehten. Da konnten Lehrmeister lange klagen, es stehe ziemlich arg beim Lesen und Schreiben der Schulabgänger. Die Bildungspolitik reagierte mit schnellen Rezepten wie digitalen Förderprogrammen und mehr Vergleichstests. Doch damit wird das Steuer nicht herumgerissen. Wie Carl Bossard in seinem einleitenden Beitrag brillant ausführt, muss einiges grundlegend verändert werden, damit unsere Schüler mit der deutschen Sprache wieder besser vertraut werden und zur Lesefreude zurückfinden.

Mit dem Lesedebakel und dessen Konsequenzen auf die Ausrichtung unserer Volksschulbildung setzt sich eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren in aufschlussreichen Beiträgen unserer Ausgabe auseinander. Im Gegensatz zu den vagen Lösungsvorschlägen der Schweizer Erziehungsdirektorenkonferenz haben unsere Analysten und Leserbriefschreiber konkrete Vorstellungen, was verändert werden müsste. Doch ihre Vorschläge sind oft unbequem und verlangen deutliche Kurskorrekturen. Das dürfte mit Sicherheit zu spannenden Diskussionen führen.

Zum erfreulichen Abschluss unserer Jahresbilanz zählt die Tatsache, dass verschiedene regionale Bildungsvereinigungen nun eine gute Form der Zusammenarbeit gefunden haben. Mit der Schaffung des Condorcet-Blogs wurde eine lockere Dachorganisation installiert, die es den Lesern auf einfachste Art ermöglicht, sich einen schweizweiten Überblick über bildungspolitische Beiträge und Aktivitäten zu verschaffen. Waren bis vor kurzem oft nur isolierte kritische Meinungen zu Bildungsfragen zu hören, so scheinen sich nun die Einzelstimmen zum Chor zu formieren. Das ist doch ein schönes Weihnachtsgeschenk!

Schauen Sie sich in unserem Newsletter um, bilden Sie sich aus den Analysen eine Meinung und freuen Sie sich auf spannende Veranstaltungen, die im kommenden Jahr stattfinden werden. Die Redaktion wünscht Ihnen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr.

Hanspeter Amstutz

Inhalt

  • Das Lesedebakel – ein Symptom für ein Bildungsprogramm mit zu vielen Schwerpunkten
    12.2019 Hanspeter Amstutz
  • Bitte nicht nach Estland pilgern!
    Journal21 12.12.2019, von Carl Bossard
  • Unzureichender Leseunterricht
    Condorcet-Bildungsblog 12. 12 2019 von Urs Kalberer
  • Deutsch lernen – ein unterschätzter Grundauftrag der Volksschule
    12.2019 Hanspeter Amstutz
  • Der Bildungserfolg ist in Gefahr
    Galler Tagblatt 12.12.2019, Gastkommentar von Hans Fahrländer
  • Leserbrief zu «Der Bildungserfolg ist in Gefahr»
    12.2019 Marianne Wüthrich
  • Bildungsfremde Reformen an unseren Volksschulen
    Zürcher Bote 13.12.2019, zur neuen PISA-Studie, von Karl Meier-Zoller, Effretikon
  • Alles zudecken mit ein paar banalen Rezepten?
    Zürcher Bote 13.12.2019, Aktuell: PISA-Desaster, von Dr. iur. Marianne Wüthrich
  • Den Karren überladen
    NZZ 13.12.2019, Zuschriften
  • «Man spürt langsam die Mängel»
    Tages-Anzeiger 120.12.2019, Leserbriefe
  • Fehlende pädagogische Verantwortung
    NZZ 10.12.2019, Tribüne Gastkommentar von Carl Bossard
  • Unser System war institutionell noch nie so durchlässig
    Condorcet-Bildungsblog 15.12.2019, Gastbeitrag von Peter Aebersold
  • Reformen müssen kindgerecht sein
    Galler Tagblatt 12.12.2019, Leserbrief von Lisa Leisi
  • Digitalisierung beschäftigt die Schulpsychologie
    Galler Tagblatt 16.12.2019, Ostschweiz
  • Keine Sek C mehr in Wetzikon – SVP reicht Interpellation ein
    Zürcher Bote 13.12.2019, Interpellation der SVP von Timotheus Bruderer, Gemeinderat SVP Wetzikon
  • Time for Change – Band 2
  • Veranstaltungshinweise
    14. Januar 2020, Bildungspolitik auf dem Holzweg
    19. Februar 2020, Ist neu immer besser?