Die rosarote Brille der Bildungsrevolutionisten
Haben Sie es schon einmal erlebt? Sie öffnen die Türe, um in ein Zimmer zu gelangen, nichts Böses denkend. Und in diesem Augenblick entleert sich ein Eimer kalten Wassers über ihren Kopf. – Falls nicht, können Sie dieses Szenario beim Lesen einiger der nachfolgenden Artikel mindestens mental erleben. Was sich neben Bildungsexperten jetzt auch Philosophen und Bundesrichter vorstellen, wie unsere Volksschule zukünftig erfolgreich funktionieren soll, braucht schon starke Nerven.
Das ideale Verpackungsmaterial für diese Vorstellungen nennen sich heute «Digitalisierung» oder «Wandel». Trendige Begriffe. Doch wird gerne vergessen, dass diese Begriffe wertfrei sind, das heisst nicht per se und überall positiv. Schulreformen nützen reichlich wenig, wenn die Kinder darunter leiden. Und digitale Geräte sind zwar toll, aber der Mensch ist nun mal ein analoges Wesen und besteht nicht aus 0 und 1.
Das Recht auf Glück
Früher erforderte das Streben nach Glück eine persönliche Anstrengung, heute soll es die Schule für alle bereitstellen. So könnte man es jedenfalls auffassen, wenn man vom «Lernen nach dem Lustprinzip» oder dem spielerischen Erlernen («Gamification» genannt) liest.
Wie sollen sich solche Kinder später in unserem Rechtsstaat zurechtfinden, der seine Gesetze nicht nach Lust und Laune auslegen lässt? Oder wie sollen unsere Jungs die Militärzeit überstehen, wenn sie nicht begreifen, dass sie dort Befehle auszuführen haben, für diese sie keine Lust verspüren?
Keine Bildung ohne Wissen
Es ist genau dieses Lustprinzip, das einem in einer Blase leben lässt - bis sie in der eher harten Realität des Lebens platzt. Denn auch in Zukunft gilt, was Markus Visneider aus Winterthur in seinem Leserbrief schreibt: «Lernen geht nicht ohne Forderungen, die von Lehrpersonen gestellt werden.» oder wie Urs Oswald aus Zürich in seinem Leserbrief festhält: «Man kann sich nur für etwas interessieren, das man kennt.» Ja, Wissen alleine genügt nicht, aber Wissen ermöglich erst eine Bildung. Bevor Zusammenhänge erkannt werden können, muss erst die Materie vorhanden sein. Und zwar im Kopf und nicht im Internet.
Wohin die Ideen der «Schulrevolutionierenden» führen, fasst unser Vorstandsmitglied, Marianne Wüthrich, im letzten Artikel dieser Newsletter-Ausgabe prägnant zusammen. Durch den Digitalisierungs- und Integrationswahn wird unsere Volksschule in eine «fatale Einseitigkeit der Bildung» gedrängt. Lässt der Souverän dies zu?
Braucht es wieder Kleinklassen?
Gerade in der Schweiz, in dem das eidgenössische Volk, mit einer direkten Demokratie beschenkt, das letzte Sagen hat, muss der Druck von unten kommen. So wird auch der Ruf nach einer Wiedereinführung von Kleinklassen grösser. Als Verein möchten wir mit Hand anlegen und laden Sie deshalb zu unserer nächsten Veranstaltung «Braucht es wieder Kleinklassen?» nach Zürich ein. Nachdem uns drei Fachleute aus ihrer Perspektive zum Thema Kleinklassen informiert haben, wollen wir zu Taten schreiten und gemeinsam diskutieren, wie wir ein Verbesserung der Situation erreichen können. Es würde mich sehr freuen, Sie am 27. September in der Helferei in Zürich begrüssen zu dürfen und ihre Ideen zu hören!
Mit freundlichen Grüssen,
Timotheus Bruderer, Präsident «Starke Volksschule Zürich»
Inhalt
- Die rosarote Brille der Bildungsrevolutionisten
«Starke Volksschule Zürich», 30.8.2019, Timotheus Bruderer - Billige Bildung
NZZ 27.8.2019, Meinung & Debatte, Seitenblick von Konrad Paul Liessmann - Der Philosoph als Heilsbringer
Journal21, 25.8.2019, von Carl Bossard - Lernen nach dem Lustprinzip
NZZ am Sonntag 18.8.2019, von Anja Burri - «Algebra braucht kaum jemand im Leben. Das ist verschwendete Zeit»
NZZ am Sonntag 18.8.2019, Hintergrund Schule, Interview Michael Furger - «Unreflektierte Leichtfertigkeit
NZZ am Sonntag 25.8.2019, Leserbriefe - 25 Schüler sind zu viel, sagen Lehrer – und fordern kleinere Klassen
Tages-Anzeiger 19.8.2019, Front, Philipp Loser und Daniel Schneebeli - Lehrer und Experten streiten um die richtige Klassengrösse
Tages-Anzeiger 19.8.2019, Zürich, Daniel Schneebeli - «Beide Seiten haben wohl recht»
Tages-Anzeiger 24.8.2019, Debatte, Leserbriefe - Bundesgericht will Analphabeten in Sek
Weltwoche 21.8.2019, von Philipp Gut - Ungenutzte Lehrstellen und Lehrabbrüche
Zeit-Fragen 27.8.2019, von Marianne Wüthrich - Veranstaltungshinweise
September, Rauchen, Kiffen und Dampfen – zwischen Verbieten und legalisieren.
27.September: Braucht es wieder Kleinklassen
Informations- und Diskussionsanlass des Vereins «Starke Volksschule Zürich»
23. Oktober: Eine Kultur schafft sich ab
Veranstaltung der «Starken Volksschule St. Gallen