Liebe Leserinnen und Leser
Am 19. Juni wurde der «Bildungsbericht Schweiz 2018» an einer Medienkonferenz vorgestellt. Da er 340 Seiten und rund 500 Themen umfasst, konnten in der Tagespresse lediglich Fragmente publiziert werden. So im Tages-Anzeiger, der Statistiken zu den kantonalen Bildungsausgaben wiedergibt, z.B. Bildungsausgaben pro Schüler oder durchschnittliche Klassengrössen in den Kantonen, was zur wenig fruchtbaren Diskussion zwischen Stefan Wolters (Verantwortlicher für den Bildungsbericht) und LCH-Präsident Beat Zemp führt, ob zwischen Bildungsausgaben und Bildungsqualität ein relevanter Zusammenhang bestehe oder nicht. Weit aussagekräftiger als solcherlei statistische Übungen ist die anschliessende lebhafte Diskussion der Leserinnen und Leser (Online-Kommentare).
Einmal mehr wird bestätigt: Die modernsten Statistikprogramme und die umfassendsten Datensammlungen können nicht mehr als Hilfsmittel sein und kommen niemals an die Einzigartigkeit des in Zusammenhängen denkenden Menschen heran, potenziert durch den sozialen Austausch (hier die Bezugnahme auf Kommentare anderer Leser und das Weiterspinnen der so entstehenden Gedankennetze).
Im Leitartikel von Carl Bossard kommt der Irrweg der aktuellen Bildungs-«Experten» auf eindrückliche Weise zum Ausdruck. Die Lehrerpersönlichkeit auf einen Coach und das Kreuzchen-Einfüllen in vorgegebene Raster zu reduzieren, ist weder für die Lehrerin noch für die Schüler bekömmlich. Ebenso untauglich ist bekanntlich das angeblich Chancengleichheit schaffende Verfrachten von Kindern mit grossen Unterschieden in Lernstand, persönlicher Verfassung und sozialer Ansprechbarkeit ins selbe Schulzimmer. Dazu das Interview aus Wien zum Erziehungsnotstand in den Schulen und der Schulversuch «Fokus Starke Lernbeziehungen», dessen Ergebnis für erfahrene Lehrer wenig überraschend ist, wie Peter Schmid in seinem Leserbrief erklärt: Kinder brauchen an allererster Stelle eine konstante Beziehung zu ihrer Lehrerin und ihren Mitschülern – für ihr schulisches Vorankommen ist dies von viel grösserer Bedeutung, als wenn sie «gleichberechtigt» in der Regelklasse sitzen, ohne mithalten zu können. Laut Bericht von Heike Schmoll in der FAZ rudern denn auch etliche deutsche Bundesländer wieder zurück auf Feld 1, zur Förderschule.
Noch ein Wort der Berufsschullehrerin zur Aussage des für den Bildungsbericht Schweiz 2018 Verantwortlichen (!), in den nächsten Jahrzehnten bräuchten 60 Prozent der Schweizer einen höheren Abschluss als eine Berufslehre: «Für die, die das nicht schaffen, dürfte es eng werden.» Tatsache ist: Die duale Berufslehre ist erwiesenermassen der beste Boden für das Berufsleben. Laut Bildungsbericht verfügen über 90 Prozent der 25-Jährigen in der Schweiz über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II – das soll uns einmal jemand nachmachen! Darauf baut ein grosser Teil der jungen Leute eine weitergehende Ausbildung auf. Wir Erwachsenen und ganz besonders die «Bildungsexperten» tragen die Verantwortung dafür, dass die Kinder und Jugendlichen in der Volksschule das unabdingbare Grundlagenwissen und die notwendigen Fertigkeiten lernen, damit es in Zukunft keinen «Rest» von 40 Prozent (!) gibt, der durch die Maschen fällt.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Für die «Starke Volksschule Zürich»
Marianne Wüthrich
Inhalt
- Vorwort
- Freiheit als pädagogisches Elixier
- Bildungsbericht 2018 Analysen zu rund 500 Themen
- «Eine Lehre allein reicht heute nicht mehr»
- Ist der Bildungsabbau an der Volksschule nur ein Mythos?
Einige Online-Kommentare - „Lehrerinnen und Lehrer müssen sich vor allem erst einmal wehren“
Mehr Rückendeckung bitte! - Schulversuch hat Hauptziel verfehlt
Sonderpädagogische Flickschusterei - Zurück zur Förderschule?