Hat die Schule Zeit für wesentliche Bildung?
Unsere Gesellschaft ist im Umbruch.Das spürt man an allen Ecken und Enden. Die Welt wird digitalisiert, globalisiert und immer breiter informiert. Es mangelt nicht an grossen Zukunftsvisionen, die einen neuen Lebensstil verkünden. Zeiten des Umbruchs sorgen aber auch für viel Unruhe und lösen Ängste aus. Der schnelle Austausch von Informationen und Meinungen verläuft leider kaum noch so, wie es sich die innovativen Erfinder des weltweiten Netzes vorgestellt haben. Die Kurznachrichtenflut deckt viele Menschen fast zu, sodass sie mit dem Beantworten der Botschaften kaum noch nachkommen. Dazu kommt ein riesiges Informationsangebot, bei dem es schwierig ist, die Spreu vom Weizen zu unterscheiden. Besonders für die von den neuen Medien faszinierte jüngere Generation ist es alles andere als einfach, einen souveränen Umgang mit den vielen News zu finden.
Wie immer in solchen Fällen, ist es die Schule, die Abhilfe schaffen soll. Überforderte Eltern, deren Kinder täglich stundenlang im Netz sind, atmen auf, weil jetzt das Fach Medienkunde eingeführt wird. Neben der Vermittlung von digitalen Grundtechniken soll das neue Fach auch eine kritische Distanz zum Medienangebot schaffen, indem es die Kinder zu kritischen Medienkonsumentenerzieht. Ein grosses Ziel!
Doch so einfach geht das nicht. Der Weg zu einem kritischen Urteilsvermögen ist lang.Das Verstehen wichtiger Zusammenhänge basiert auf einer soliden Allgemeinbildung und setzt gute muttersprachliche Kenntnisse voraus. Doch in beiden Bereichen ist die Lektionenzahl knapp geworden, weil andere Fächer wie die Fremdsprachen mehr Platz beanspruchen. Schüler, die im Fach Geschichte nur rudimentär mit den grossen politischen Themen des 20.Jahrhundert konfrontiert werden, haben zweifellos Bildungsdefizite. Dieses Manko primär den Lehrpersonen anzulasten wäre aber verfehlt. Wie soll ein ertragreicher Geschichtsunterricht gestaltet werden, wenn nur noch eine Wochenstunde für das Fach gewährt wird?
Das aktuelle Bildungsprogramm des neuen Lehrplans befindet sich in einem Widerspruch zwischen grossen Bildungsversprechungen und dem Zeitbudget der Lektionentafeln.Es ist ein Irrtum zu glauben, der Bildungsoutput könne wie bei neuen Computermodellen von Jahr zu Jahr gesteigert werden. Gute Bildung braucht Zeit und pädagogische Musse, wenn sie gelingen soll. Wir müssen uns entscheiden, wo wir die Hauptakzente setzen wollen und was weggelassen werden kann. Medienkunde hat eine gewisse Priorität. Aber ohne einen sorgfältigen Aufbau des Basiswissens in Mensch undUmweltbleibt das Fach isoliert und wenig wirksam.
Was für die Medienkunde gilt, kann auch auf andere Unterrichtsbereiche übertragen werden. Weniger ist mehr.Gründliche und gut vernetzte Bildung ist nachhaltiger als jedes noch so bunte Bildungsprogramm, das auf die Erfüllung vielfältiger Versprechungen angelegt ist. Kinder und Jugendliche sollen Wesentliches lernen und sich mit spannenden Themen auseinandersetzen können. Aber sie dürfen nicht durch die Bildungslandschaft gehetzt werden.
Liebe Leserinnen und Leser, der aktuelle Newsletter nimmt die Frage auf, worauf es beim Lernen ankommtund welche Inhalte eine zentrale Rolle spielen. Mit dem erhellenden Startbeitrag von CarlBossardwerden Sie gleich mitten ins erwähnte Thema geführt. Es geht dann weiter mit Erkenntnissen aus gescheiterten Schulexperimenten in Schweden und mit einem Beitrag über die Bedeutung des Geschichtsunterrichts für das politische Urteilsvermögen. Weitere Schwerpunkte bilden die Schulinseln für verhaltensauffällige Schüler sowie das höchst umstrittene Schreiben nach Gehör.
Werfen Sie einen Blick hinein, lassen Sie sich ein Stück weit mitführen und melden Sie uns, was Ihnen gefallen oder allenfalls missfallen hat. Wir freuen uns über Rückmeldungen.
Für die Redaktion «Starke Volksschule Zürich»
Hanspeter Amstutz
Inhalt
- Hat die Schule Zeit für wesentliche Bildung?
- Bildung braucht „scholé“
- Was man von Schwedens Schule lernen kann
- Zeit für eine Denkpause
- Ein Etappensieg der pädagogischen Vernunft
- Deutsch lernen im Geschichtsunterricht
- In Nidwalden ist der «schbas» vorbei
- Kinder haben ein Recht auf korrekte Schulung
Zuschriften - Integrative Schule: «Die Qualität der Volksschule ist in Gefahr»
- Schulinseln sorgen für ruhigere Klassenzimmer
- Eine Insel für Verhaltensauffällige
- Integration in der Schule
- «Nicht akzeptierbares Verhalten ist ein Problem des ganzen Schulhauses»
- Veranstaltungshinweise
Was ist Bildung? Von welcher Lebensschulung profitieren unsere Kinder
Bildungspolitik auf dem Holzweg?