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Newsletter vom 25.11.2018

Vorwort

Gestern Abend (21. November) lauschten etwa 150 Zuhörer an der Fachhochschule St. Gallen gebannt dem fulminanten Referat von Professor Konrad Paul Liessmann aus Wien zum Thema «Was ist Bildung?» Eigentlich kann seine Rede nicht zusammengefasst werden, denn er machte mit seiner Redekunst die Tatsache lebendig, dass der Mensch erst durch Erziehung und Bildung zum Kulturwesen wird. Sogenannte «Lesekompetenz» zu erwerben, um Fakten googeln zu können, ist keine Bildung, so der Referent. Lesen lernen will das Kind aus Neugier, weil es die spannenden Geschichten, die ihm die Eltern oder die Lehrerin erzählt, selbst lesen lernen will. Werteerziehung gehört entscheidend zur Bildung des Menschen als soziales Wesen: Schulung von Verantwortungsgefühl und moralischer Urteilskraft kann durch keinen Computer vermittelt werden. Aber auch ästhetische Bildung, die dem Kind neue Vorstellungs- und Denkwelten eröffnet, ist unverzichtbar. Mit der Kompetenzorientierung wird jedes Handeln in Einzelteile zerfleddert, damit verweigern wir der Jugend all das, was das Leben reichhaltig macht. Wo es um etwas anderes als ums Zählen (digital von digitus, lat., Finger) oder ums Googeln von Fakten (ohne deren inhaltliche und moralische Beurteilung) geht, genügen digitale Geräte nicht.

Um die Frage der digitalisierten Schule dreht sich ein rechter Teil der Texte im vorliegenden Newsletter. Während die Produzenten von Hard- und Software im Silicon Valley für ihre Kinder bildschirmfreie Schulen wollen, «springen» Swisscom und IBM laut Blick «als Lehrer ein», das heisst, sie führen Elternabende und Kurse für Schüler und Lehrer durch. Da geht's ums Geschäft, allenfalls noch um technische Einführung, aber bestimmt nicht um «Bildung». Auch nicht um die Frage, welche Schule dem Wohl des Kindes entspricht – denn die dafür zuständigen Fachleute, die Lehrer und Lehrerinnen werden durch Techniker ersetzt (die erst noch zusätzliche Kosten verursachen!).

Und 's Tüpfli uf em i: Die gesamte Umwälzung unserer Schule durch Digitalisierung, Kompetenzorientierung und selbstorganisiertes Lernen kann dem gar nicht gerecht werden, was sie vorgibt, nämlich die «Kinder auf die Zukunft vorzubereiten». Dies, so Konrad Liessmann, ist nicht Aufgabe der Schule – wer von uns wurde denn in seiner Schulzeit auf die Welt von heute vorbereitet? Vielmehr hat die Schule, also die Lehrerin und der Lehrer, den Kindern die Kulturtechniken zu vermitteln, ihr Interesse an der Welt und ihre Kreativität zu wecken und ihnen den Weg zum verantwortungsbewussten und gemeinschaftsfähigen Erwachsenen aufzuzeigen.

Schliessen will ich mit dem Beginn des Newsletters, dem Plädoyer Carl Bossards für die Erhaltung von Schulreisen und -lager als Erlebnisse besonderer Art für die Jugend. Dazu fällt mir mein letzter Schulausflug mit einer Klasse von Elektropraktiker-Lehrlingen, fünfzehn jungen Männern, ein. Nach einem Schul-Skitag auf der Lenzerheide ass ich mit ihnen in einem Churer Hotel, wo wir auch übernachteten, zu Abend. Nach dem gemeinsamen Frühstück – alle sassen punkt halb acht am Tisch – führte uns der Redaktor des Radio Rumantsch, ein früherer Lehrerkollege, durch diese kleine, sehr persönliche und eindrückliche Einrichtung. Auch die Znünipause verbrachten wir auf einstimmigen Wunsch der Schüler gemeinsam. Nachmittags fuhren wir zu einer Besichtigung der Ems Chemie.

Während die meisten meiner Lehrerkollegen mit ihren Abschlussklassen nach London, Prag oder Barcelona flogen, verbrachten meine Elektropraktiker und ich einen einzigen Tag zusammen, ohne «Action». Einige Monate später, beim Abschied am letzten Schultag, sagte ein Schüler, der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte, zu mir: «Wissen Sie, was das Schönste war? Unsere Klassenreise im Bündnerland.» Was sonst soll die Schule «bieten»?

Für die Redaktion «Starke Volksschule Zürich»

Marianne Wüthrich

Inhalt

  • Vorwort
  • Was nicht im Stundenplan steht
  • Menschen statt Computer – die verblüffende Trendwende an Schulen im Silicon Valley
    Onlinekommentare
  • «Dieser Mist verdirbt uns alle!»
  • Liebe Eltern, nehmt den Kindern das Smartphone weg!
  • Swisscom und Co. springen vor den Klassen als Lehrer ein
  • Pragmatische Antworten statt Visionen
  • «Die Schule ist für die Kinder da und nicht umgekehrt»
  • Die EDK stiehlt sich aus der Verantwortung
  • Gegen ein Mauerblümchendasein
  • Zu viele offene Fragen
  • «Ross und Reiter» sind bekannt