Haarsträubendes aus der Bildungsszene – und glasklare Analysen dazu
Zum neuen Jahr wünschen wir Ihnen alles Gute und freuen uns, Sie auch 2025 als Leser und Unterstützer einer guten Volksschule an unserer Seite zu haben.
Ein Anliegen unseres Redaktionsteams
Wir haben diesmal auch ein eigenes Anliegen. Damit wir den Newsletter auch in Zukunft alle 14 Tage herausgeben können, würden wir uns freuen, wenn der eine oder die andere von Ihnen sich überlegt, unser kleines Team mit gelegentlichen oder regelmässigen Einsätzen zu ergänzen.
Natürlich wissen wir, dass die Jüngeren unter Ihnen mit Beruf, Familie und allerlei Milizarbeit für unser Gemeinwesen sehr ausgelastet sind. Aber vielleicht finden Sie doch noch ab und zu ein freies Zeitfenster? Oder Sie haben als Frischpensionierte noch Kapazitäten? Oder Sie haben andere Ideen für eine aktive Teilnahme? Übrigens freuen wir uns auch, wenn wir von Ihnen ein Echo – es darf auch kritisch sein – auf einen Newsletter oder eines unserer Vorwörter erhalten.
Marianne Wüthrich, Ruedi Richner und Hanspeter Amstutz
Zu Beginn dieses Jahres müssen wir Ihnen bereits drei haarsträubende Anschauungsbeispiele präsentieren, die von sogenannten Bildungsexperten produziert wurden, nämlich im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI, in der Zürcher Bildungsdirektion und in der PHZH. Kein Wunder, geht die einst gute Schweizer Schulbildung immer mehr in den Keller! Andererseits können wir Ihnen auch einige bemerkenswerte Analysen anbieten, deren Lektüre ein Genuss ist.
Abschaffung der ABU-Abschlussprüfungen wäre das Tüpfchen auf dem i
Frischen Wind bringt der junge Sebastian Briellmann in die NZZ-Inlandredaktion. Seine beiden Analysen zu den Bildungsreformen der letzten Jahrzehnte sind Journalismus vom Feinsten. Briellmann rechnet mit den «praxisfernen Theoretikern» ab, deren «grosse Würfe» bekanntlich das Gegenteil ihrer vollmundigen Prognosen bewirkt haben, nämlich eine Nivellierung der Schulbildung nach unten und die Abkehr von immer mehr guten Lehrern von ihrem eigentlich erfüllenden Beruf. Neueste Untat aus der Bildungsverwaltung: Die Abschaffung der Abschlussprüfungen im Allgemeinbildenden Unterricht (ABU) an den Berufsschulen, die das SBFI entgegen allem Widerstand aus den Reihen der echten Fachleute durchdrücken will. Die Schlussprüfung sei zu stark auf Wissen und zu wenig auf «Kompetenzen» ausgerichtet und deshalb nicht mehr «zeitgemäss», babbeln die Leute in der Bundesverwaltung ohne jeden Bezug zur Realität.
Als erfahrene ABU-Lehrerin könnte ich weit ausholen, um den Abbau des qualitativ hochstehenden allgemeinbildenden Unterrichts zu schildern, der unserer Berufsbildung seit gut dreissig Jahren angetan wird. Als ich in den Achtzigerjahren begonnen habe zu unterrichten, erhielten unsere Jugendlichen in den drei Lektionen ABU pro Woche eine gute und umfassende Allgemeinbildung, auf drei Schulfächer aufgeteilt. Der vom Bund herausgegebene Lehrplan enthielt solides Wissen und Fähigkeiten in vielfältigen Bereichen und in einem sorgfältig strukturierten Aufbau. Die Abschlussprüfung war anspruchsvoll und umfasste viele Lernbereiche in den Fächern Deutsch, Geschäftskunde, Staats- und Wirtschaftskunde. Sie wurde zentral organisiert und fand in der ganzen Deutschschweiz am selben Tag statt.
Unverzichtbare Beurteilung der Kenntnisse in Allgemeinbildung
Was die Jugendlichen heute im ABU lernen, ist im Vergleich dazu ein kümmerliches Häufchen. Die geplante Abschaffung der Abschlussprüfung ist sozusagen das Tüpfchen aufs i. Denn in den Neunzigerjahren entdeckten einige Anti-Pädagogen die Allgemeinbildung an den Berufsschulen als Experimentierfeld für alle ihre späteren verheerenden Feldzüge gegen unsere gute Schulbildung. Abschaffung der Fächer, jeder Schule ihren eigenen Lehrplan, «Kompetenzen» statt Wissensvermittlung, viel selbstorganisiertes Lernen – vor allem bei der damals eingeführten Abschlussarbeit (SVA). Wenn man die Vor- und Nachbereitung samt Präsentation miteinberechnet, wird heute ein grosser Teil der ABU-Lektionen dafür verwendet. Auch schon vor KI wurde dabei viel fremdes Material heruntergeladen, inklusive ganze angeblich selbst geführte Interviews.
Eine Abschlussprüfung am Ende der Lehre, in der wenigstens ein Teil der über die Jahre erworbenen Kenntnisse überprüft wird, ist unverzichtbar. Dies besonders, weil die Erfahrungsnoten häufig fern von jeder Realität gesetzt werden (manche Lehrer geben kaum Noten unter 5!) und weil die heutigen Prüfungen nur noch ein Abklatsch der früheren anspruchsvollen LAP sind. Eine zentrale Prüfungskommission gibt es längst nicht mehr, sondern unter dem Motto «Wer lehrt, prüft» verfassen die ABU-Teams an den einzelnen Schulen oder Abteilungen ihre eigenen Prüfungen, mit entsprechend gesunkenem Schwierigkeitsgrad. Und dieses Restchen soll auch noch fallen? «Bloss keinen Stress verursachen», bemerkt Briellmann ironisch in der NZZ.
Wofür braucht es die EDK überhaupt?
Antwort der Zürcher Bildungsdirektorin und EDK-Präsidentin Silvia Steiner in der NZZaSo: Die EDK sorge dafür, dass in der Bildung nur die mitreden können, die «zuständig» sind, sonst «besteht die Gefahr, dass alle mitreden wollen». Die 26 Kantone zum Beispiel wollten früher mitreden, bevor Verwaltungsbeamte von Bund und Kantonen die nicht vom Volk gewählten Direktorenkonferenzen vis-à-vis vom Bundeshaus installierten und das föderalistische Gefüge der Schweiz damit faktisch ausser Kraft setzten. Dass die EDK zudem mit einer Politikerin besetzt wurde, die keinen blassen Schimmer von Pädagogik und Schule hat, setzt dem Ganzen die Krone auf. Und dann merkt sie es nicht einmal: «Ich bin voll im Saft und habe noch viel vor.» Lesen Sie die messerscharfe Einordnung von Carl Bossard zu Steiners peinlichen Phrasen zum Sprachenlernen («Wenn für Fremdsprachen das Gefühl genügt»). Damit können Sie sich die Lektüre des Interviews ersparen – und in zwei Jahren eine fähigere Zürcher Bildungsdirektorin wählen.
Übrigens: Wie Deutschschweizer Jugendliche am besten Französisch lernen und umgekehrt, erfahren Sie im Bericht des Tagi über längere Sprachaufenthalte («Sie tauschen Familie und Schule»). Kleiner Tipp: Lesen Sie den Text mit Ihren Schülerinnen oder Ihren Kindern – da kriegt man richtig Lust auf einen Aufenthalt in der Romandie.
PH Zürich verhindert aktiv das Lesen- und Schreibenlernen
Wie unseren künftigen Lehrern an der PHZH die Köpfe verdreht werden, schildert die Schriftstellerin und Berufsschullehrerin Maja Peter («Die Lesemisere ist hausgemacht»): Kinder würden kreativer schreiben, wenn sie nicht mit Rechtschreibung und Grammatik belästigt würden, Diktate seien «altmodisch und quälerisch», und wer seine Schüler laut vorlesen lasse, stelle diese bloss. Die Autorin stellt diese Irrlehren richtig und hält fest, dass eine derartige «Lehrerbildung» mitverantwortlich ist für die mangelhaften Lese- und Schreibfähigkeiten vieler Menschen. Wenn also etwas ganz dringend «reformiert» werden muss, dann nicht der KV-Lehrplan oder die ABU-Prüfung, sondern unsere Lehrerbildungsstätten, samt der Voraussetzung von pädagogischem Basiswissen für die Dozenten!
Freude am Lesen und am richtigen Schreiben fördern
Mario Andreottis Forderung, in den Schulklassen mehr zu lesen, kann ich mich nur anschliessen («Die Buchmarktkrise ist eine Lesekrise»). Meine Berufsschüler liebten es, zusammen ein Buch oder einen Zeitungsartikel zu lesen. Wenn ich fragte, ob sie lieber einzeln oder zusammen lesen wollten, riefen sie jeweils im Chor: «Zusammen». Falls jemand stockend las, brauchte es nur ein kurzes Gespräch, und das Auslachen war kein Thema mehr. Meine Schüler waren übrigens auch begeistert von Arbeitsblättern mit Hinweisen wie etwa «Auf diesem Blatt hat es 20 Fehler.» So viel pädagogisches Geschick sollte man von einer Lehrerin erwarten können, und erst recht von einem PH-Dozenten.
Am Schluss unserer Sammlung finden Sie eine ganze Reihe interessanter Leserbriefe. Nicht vergessen: Diese haben eine grosse Wirkung. Ich jedenfalls lese immer zuerst die Leserbriefseite.