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Newsletter vom 20. Oktober 2024

Konzentration aufs Wesentliche als neue Leitlinie für die Volksschule

Konzentration aufs Wesentliche als neue Leitlinie für die Volksschule

Mit einem Paukenschlag melden sich FDP und SVP zurück in der Bildungspolitik. Rechnen, Lesen und Schreiben sollen in der Volksschule wieder an erster Stelle stehen. Die schulische Integration sämtlicher Schülerinnen und Schüler in die Regelklassen wird abgelehnt und bei den Frühfremdsprachen soll es zu einem grossen Aderlass kommen. Ziel ist es, den Sinkflug unserer Volksschule abzubrechen und mit einer Konzentration aufs Wesentliche dem Leistungsgedanken wieder Auftrieb zu geben.

Das Ganze ist ein mutiger Ansatz und verdient es, breit diskutiert zu werden. Mathematik und Deutsch wieder ins Zentrum des Bildungsprogramms zu stellen und das ausufernde Wunschprogramm zu reduzieren, ist ein sinnvolles Anliegen. Bei der Mathematik ist die bessere Förderung der Grundkompetenzen eine überschaubare Aufgabe, da das Mathematikniveau unserer Schüler relativ hoch ist. Die Deutschkompetenz unserer Schulabgänger zu verbessern, ist hingegen eine komplexe Herausforderung. Es reicht nicht, nur das Frühfranzösisch zu streichen, um mehr Deutschstunden zu erhalten. Nötig ist eine innere Reform der Volksschule mit einem klar durchdachten Konzept zugunsten erfüllbarer und verbindlicher Bildungsziele.

Besseres Deutsch setzt eine didaktische Gesamtstrategie voraus

Aufwertung der Realienfächer: Für die Erweiterung des Wortschatzes spielen die Fächer aus dem Bereich Mensch und Umwelt eine zentrale Rolle. Kinder und Jugendliche lernen durch einen anschaulichen Sachunterricht und spannende Geschichten die Welt kennen und verstehen. Gut ausgebildete Lehrpersonen erschliessen mit präziser Sprache einen sachbezogenen Wortschatz und öffnen das Tor zu einem besseren Leseverstehen. Wer mehr weiss und erhellende Einblicke ins Leben erhalten hat, findet den Zugang zum sprachfördernden Lesen viel leichter.

Sprachkompetenz gehört zur Lehrerpersönlichkeit: In der Lehrerbildung muss alles darangesetzt werden, die muttersprachliche Kompetenz der Studierenden zu stärken. Die arg vernachlässigte Erzählkunst ist aufzuwerten und die Sachkompetenz in den Realienfächern so auszubauen, dass junge Lehrerinnen und Lehrer sprachlich aus dem Vollen schöpfen können. Die formale Sprachförderung muss ein Niveau erreichen, das eine gepflegte Sprache auch im schriftlichen Ausdruck ermöglicht.

Pflege der Schriftlichkeit: Kinder sollen von allem Anfang an die korrekte Schreibweise der Wörter und schrittweise an grammatikalischen Strukturen unserer Muttersprache gewöhnt werden. Rechtschreibung und Grammatik sind intensiv zu trainieren und Aufsätze verschiedenster Art sind regelmässig in den Unterricht einzubauen. Diese Kultur einer sorgfältigen Schriftlichkeit verlangt einigen Korrekturaufwand und ist ein wesentlicher Teil einer Schule, die Leistungen im Deutsch erwartet.

Freude am Deutsch wecken: Ziel eines sprachbewussten Unterrichts muss es sein, die sprachliche Gestaltungkraft der Kinder und Jugendlichen umfassend zu fördern. Dazu eignen sich Gedichtstunden, wo lyrische Meisterwerke einen unmittelbaren Zugang zur inneren Kraft der Sprache schaffen. So gehören Goethes Zauberlehrling, Fontanes Ballade Brück’ am Tay und Brechts sozialkritische Gedichte in die pädagogische Schatztruhe. Freude am sprachlichen Ausdruck können Jugendliche auch finden, wenn sie in eigenen Vorträgen, in Beschreibungen physikalischer Experimente, in Theaterrollen und Klassengesprächen verständliches Deutsch anwenden müssen.

Die Lehrerbildung prägt das Lehrerbild

Eine erfolgreiche sprachliche Grundbildung unserer Jugend hängt in hohem Mass von einer guten Lehrerbildung ab. An den Fachhochschulen ist man zwar bemüht, die aufgezählten Kompetenzen in die Ausbildung zu integrieren. Im Schulalltag zeigt sich jedoch, dass in vielen Bereichen offensichtliche Defizite bestehen. Die Erzählkunst ist wenig entwickelt, der schriftliche Ausdruck lässt zu wünschen übrig und das Sachwissen ist bei vielen Studierenden sehr lückenhaft. Mitverantwortlich für diesen Abbau ist zweifellos das von einer starken didaktischen Strömung favorisierte Lehrerbild des unscheinbaren Begleiters. Wenn kein ausgeprägtes Interesse daran besteht, Lehrpersonen als Erzähler, als sachkundige Instruktorinnen für anschauliche Stoffvermittlung oder als motivierende Trainerinnen für formales Üben auszubilden, bleibt die Lehrerrolle blass und verliert an sprachlicher Gestaltungskraft. Die Freude an der Sprache muss vorgelebt werden und wächst nicht, wenn Lehrpersonen lieber Arbeitsblätter verteilen und die Schüler allein arbeiten lassen.

Eine innere Schulreform bedeutet nicht, dass einmal mehr alles auf den Kopf gestellt werden muss. Vielmehr ist der Lehrplan gründlich zu entschlacken, fürs Wesentliche mehr Zeit einzuräumen und das diffuse Lehrerbild des Coachs durch das weit treffendere Rollenbild einer umsichtigen Orchesterdirigentin zu ersetzen. Was man bei der Einführung des neuen Lehrplans verpasst hat, muss jetzt aufwändig nachgeholt werden. Ebenso besteht grosser Erklärungsbedarf, wo auf dem Weg zu pädagogischen Persönlichkeiten die Studierenden ihre Ausbildungsschwerpunkte setzen sollen.

Radikal individualisiertes Lernen überfordert das Schulsystem

Wird das im Lehrplan angelegte Konzept der Individualisierung des Unterrichts vollumfänglich in die Praxis umgesetzt, führt dies zu Überforderung der Lehrkräfte. Die gemeinsame Klassenführung wird schwierig, das soziale Verhalten mit gegenseitiger Rücksichtnahme verschlechtert sich und die Notengebung wird unübersichtlich. Gegen eine massvolle Individualisierung des Unterrichts ist nichts einzuwenden. Wo aber von der Schule erwartet wird, dass jede Klassenlehrerin für jedes Kind einen individuellen Bildungsplan ausarbeitet und das Lernen individuell organisiert, stösst das Schulsystem an seine Grenzen. Es ist bezeichnend, dass neben der gescheiterten Integration der radikale Anspruch auf individuelles Lernen als grösster Belastungsfaktor gilt.

Forcierte Digitalisierung als fragwürdige Antwort auf das Individualisieren 

Manche Schule glaubt, die Belastungen des massgeschneiderten Lernens durch eine weitgehende Digitalisierung des Unterrichts auffangen zu können. Das Ganze tönt tatsächlich verlockend. Man setzt die Kinder vor Bildschirme und lässt sie an Lernprogrammen mit angepasstem Schwierigkeitsgrad arbeiten. Der Lärm im Zimmer verschwindet und die Kinder sind längere Zeit beschäftigt. Doch was sie im Vergleich zu einem gut geführten Klassenunterricht dabei lernen, ist nicht nur bei Schwächeren oft sehr bescheiden.

Eine innere Schulreform tut gut daran, das Heilmittel für mehr Schulqualität nicht in der Digitalisierung zu suchen. Laptops und I-Pads sind Werkzeuge, die ab der Mittelstufe das Lernen unterstützen können, doch als Ersatz für einen abwechslungsreichen Klassenunterricht eignen sie sich nicht. Erfolgreiches Lernen bedeutet konzentriertes Arbeiten im Rahmen einer lebendigen Schulklasse, aufbauendes Verinnerlichen des Wissens und das Verstehen von Zusammenhängen. Dies gelingt am besten mit gut ausgebildeten Lehrkräften, die sprachlich, fachlich und menschlich kompetent sind.

FDP und SVP haben mit ihren Bildungsoffensiven einen schweren Stein ins Rollen gebracht. Wir von der Starken Volksschule unterstützen dieses Rollen mit dem Vortragsabend vom 4. November in Zürich. 

Unser reichhaltiger Pressespiegel bietet noch mehr aktuelle Beiträge                                                          

Gleich mehrere interessante Themen haben in den letzten Wochen weitere Diskussion zum Bildungsgeschehen ausgelöst. Dazu gehören der Dauerbrenner Digitalisierung im Umfeld unserer Kinder, die Frage, wie sinnvoll Hausaufgaben sind, und ob die Reform der Gymnasien im Kanton St. Gallen nicht falsch aufgegleist ist. Und wie immer haben wir für Sie aussagekräftige Leserbriefe ausgewählt. 

Zum Schluss finden Sie noch einen Hinweis auf eine Veranstaltung unserer St. Galler Freunde. Am 20. Nov. 2024 findet in St. Gallen ein Vortragsabend über den Umgang der Schule mit Gewalt und Mobbing statt.

Hanspeter Amstutz