Der heulende Motor des feststeckenden «Volksschul-Autos» findet endlich Gehör
Die Diskussion über die Zustände an den Zürcher Volksschulen hat endlich begonnen, auf der grossen Bühne der Medien stattzufinden; die integrative Schule steht öffentlich in der Kritik. Zeitungen und Fernsehsender berichten; es wird analysiert, beleuchtet, es werden Interviews geführt. Was von der Bildungspolitik jahrelang in den Wind geschlagen wurde, hat das Interesse der Medien doch noch erreicht. Ausschlaggebend für diese Aufbruchstimmung war unter anderem die kantonale und überparteiliche Förderklassen-Initiative, über deren Zustandekommen sich unser Verein natürlich freut und darin aktiv mitgeholfen hat. Viele unserer Mitglieder und Sympathisanten hatten sich ins Zeug gelegt und Unterschriften gesammelt – ihnen sei an dieser Stelle ein grosses Dankeschön ausgesprochen.
Zurück zum Bildungsauftrag
Die Initiative scheint den liberalen Geist inspiriert zu haben, denn die FDP Schweiz hat an ihrer Delegiertenversammlung Ende Juni weit ausgeholt und ein Positionspapier mit 17 Analysen und Forderungen zur Gesamtsituation an der Volksschule verabschiedet. Die Kernaussage: Die Volksschule muss wieder zurück zu ihrem ursprünglichen Bildungsauftrag finden. (Wir haben das Positionspapier dem Newsletter beigelegt.) Entworfen wurde es von dessen Präsidenten Thierry Burkart – sein Interview im Tagi bildet den Auftakt unseres Newsletters.
Die Volksschule unter Vollbeleuchtung
Weitere haben sich die Gunst der Medienscheinwerfer zunutze gemacht. So beleuchtet zum Beispiel Andri Rostetter in der NZZ die Widersprüche, die durch die nie enden wollenden Reformen an unseren Schulen verursacht wurden: «Die Schulen werden allein gelassen und bevormundet. Sie müssen die Noten abschaffen, wieder einführen, sie müssen Smartphones in den Unterricht integrieren und gleichzeitig verbieten, Schülern Respekt beibringen und sich dafür von Eltern beschimpfen lassen, sie müssen inkludieren, separieren, evaluieren – und das alles mit zu vielen Konzepten und zu wenig Ressourcen.» Urs Kalberer sieht das Klassenzimmer zu einem Testlabor verkommen und hält fest: «Der Lehrermangel führt dazu, dass ungeeignete Personen einsteigen. Die wuchernde Administration frisst Ressourcen weg, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten. Die Ausbildung der PH ist ideologisch und scheut die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Und die Digitalisierung verursacht Kosten, die in keinem Verhältnis zum Lernzuwachs stehen. Das Testlabor Klassenzimmer ist grösser als angenommen.» René Donzé wirft der Politik und pädagogischen Hochschule Realitätsferne vor; er schreibt: «Neue Ideen werden von der Politik und an den pädagogischen Hochschulen ausgebrütet, eingeführt und nie mehr wirklich hinterfragt.» Mit einem Zitat Roland Reichenbachs entlarvt er sogleich die finanzielle Motivation dahinter: «Je mehr in eine Reform investiert wird, desto weniger wird sie später wieder revidiert.»
Der Krug ist gebrochen
Der Krug geht bekanntlich so lange zum Brunnen, bis er bricht. Obige Analysen machen deutlich, dass der Krug schon lange gebrochen ist. Es brauchte lediglich eine lange Zeit, bis die Brunnenschöpfer den Bruch mit notorischen Symptombekämpfungen nicht länger übertünchen können. Der jetzige Zustand der Volksschule erinnert zudem an ein Auto, das im Schlamm eingesunken ist, während alle vier Räder durchdrehen. Obwohl sich das Auto weder vorwärts noch rückwärts bewegt, wird das Gaspedal weiterhin leidenschaftlich durchgedrückt – so lange, bis der Sprit (oder Strom) alle ist. Wie lange der Motor noch laufen kann, wissen wir nicht. Was wir aber wissen, ist, dass der heulende Motorenlärm die Ohren der Medien endlich erreicht hat.
Wie lange läuft der Motor noch?
«Von allem etwas und vom Ganzen nichts.» Mit diesem Zitat fasst Carl Bossard die Reformbestrebungen der letzten Jahrzehnte treffend zusammen. Mit seinem Lösungsansatz der «sanften Sanierung» schliesst er den Kreis zur Forderung der FDP Schweiz: «Das Fundament und der feste Bau bleiben bestehen. Beides symbolisiert das, was immer gilt und keinem Verfalldatum unterliegt: die Basics, wie es heute heisst, eine gute Grundlage mit den elementaren Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens.» Die Schule muss wieder zurück zu ihrem ursprünglichen Auftrag finden. Ob und wie sie dies schafft, wird die Zukunft zeigen. René Donzé warnt in weiser Voraussicht: «Am Ende wäre es erneut die Politik, die der Schule die Richtung weist – anstelle derjenigen, die an der Front arbeiten.»Auch unser Vereinsmitglied Hanspeter Amstutz weist in seinem Artikel vorsorglich den richtigen Weg: «Eine gute innere Schulentwicklung beruht in erster Linie auf der Innovationskraft kompetenter Lehrpersonen. Diese sind es, die aus dem täglichen Umgang mit jungen Menschen wissen, wo es Verbesserungen braucht und wo ganz Neues gewagt werden kann.» Wir sind gespannt, ob die Politik die Grösse besitzt, den Fuss vom Gas zu heben, aus dem im Schlamm versunkenen «Volksschul-Wagen» auszusteigen und ihn gemeinsam mit den Frontarbeitern wieder aus dem Schlamassel zu ziehen. Noch ist es nicht zu spät, noch läuft der Motor.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
Timotheus Bruderer