Rückbesinnung auf kompetente Führung im Klassenzimmer
Autorität baut auf begründetes Vertrauen
Konzentriertes Lernen ist die Basis für erfolgreichen Unterricht. Die Fokussierung auf ein angestrebtes Lernziel ist mit Schülern, die in der Freizeit einer Dauerberieselung durch Push-Nachrichten ausgesetzt sind, eine riesige Herausforderung. Die Erfahrungen zeigen, dass diese Aufgabe nur gelingt, wenn Lehrkräfte mit innerer Überzeugung ihre Führungsfunktion übernehmen. Unweigerlich stellt sich dabei die Frage, wieweit die Autorität von Lehrkräften in einer individualistisch geprägten Gesellschaft noch unterstützt wird.
Im links dominierten Stadtzürcher Parlament wurde an der letzten Sitzung ein SVP-Vorstoss überwiesen, der mehr Sicherheitspersonal an Schulen verlangt und grundsätzlich die Autorität der Lehrkräfte stärken will. Das Postulat war eine Reaktion auf diverse Gewaltvorfälle im Schulbereich, die für einige Unruhe sorgten. Die ganze Entwicklung erstaunt nicht, wenn man auf gewisse extreme pädagogische Strömungen sieht. Allen Ernstes wird von manchen Dozenten an Pädagogischen Hochschulen die Meinung vertreten, Lehrpersonen müssten die Lernprozesse nur begleiten und sich möglichst unauffällig im Hintergrund halten. Pädagogischer Gestaltungkraft in Form von packenden Erzählungen, direkter Instruktion und gemeinsamen Übungsphasen im Klassenverband wird mit grösstem Misstrauen begegnet. Diese Einstellung sorgt dafür, dass im Eiltempo pädagogische Autorität verloren geht und ganze Klassen aus dem Ruder laufen. Viele Buben beginnen den Unterricht zu stören, wenn sie nicht wissen, wer der Chef im Klassenzimmer ist und was dieser Mensch fachlich zu bieten hat.
Erfolgreiche Pädagogik kommt nicht ohne ein gewisses Mass an reflektierter Autorität aus. Gebildete Erwachsene haben gegenüber Kindern einen deutlichen Wissensvorsprung. Kinder erleben tagtäglich in verschiedenen Bereichen dieses Wissensgefälle und sind grundsätzlich bereit, von Erwachsenen zu lernen, wenn diese sich verständnisvoll zeigen. Ganz besonders gilt diese natürliche Abhängigkeit in der Schule, wo Kinder erwarten, dass ihre Lehrerin sie richtig führt. Die allermeisten Mittelstufenschüler bringen ihrer Klassenlehrerin einen grossen Vorrat an Vertrauen entgegen, wenn sie mit Freude ihren Beruf ausübt. Dieses Urvertrauen ist das riesige Kapital, auf welchem jede echte pädagogische Autorität beruht. Umso wichtiger ist es, dass sich die Lehrpersonen ihrer grossen Verantwortung bewusst sind und begründete Autorität nicht durch fragwürdige Experimente untergraben wird.
Erfolgreiches Lernen ist mehr eine Bergtour als eine Seilbahnfahrt
Auch auf der Oberstufe ist dieser Wunsch nach einer im Unterricht führenden Lehrkraft bei den meisten Jugendlichen klar vorhanden. Das schliesst nicht aus, dass durch den entwicklungspsychologisch notwendigen Prozess der Abgrenzung von den Erwachsenen Phasen des Protests auftreten sollen. Teenager schauen auf jeden Fall genau, was die Persönlichkeit eines Lehrers ausmacht. Kann ein Lehrer jedoch für ein Fach begeistern und bietet er Gewähr für grundlegende Fairness im Umgang mit Jugendlichen, folgen die allermeisten seinen pädagogischen Intentionen. Dieses Vertrauen erlaubt es einem Lehrer, den Weg zu einem Bildungsziel als herausfordernde Bergtour zu deklarieren. Das ist zwar strenger als eine Fahrt mit der Seilbahn, aber als Lohn winken unbezahlbare Gemeinschaftserlebnisse. Die pädagogische Festigkeit des Lehrers hilft dabei, auch mühsame Passagen zu überwinden.
Grosse Krisen beim pädagogischen Autoritätsbegriff sind in der Geschichte oft durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst worden. Die Auflehnung der 68-er gegenüber schikanierenden Lehrmethoden waren eine Reaktion der Jugend auf erstarrte Lebensformen der Weltkriegsgeneration ihrer Eltern. Vieles war damals morsch, und mancher Lehrer verwechselte Autorität mit autoritärem Verhalten. Doch mit der krassen Abwertung jeder Autorität wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Kulturelle Errungenschaften müssen kompetent vermittelt werden
Die heutige Welle gegen schulische Autorität hat andere Wurzeln als bei den 68-ern. Sie wird aus der Vorstellung abgeleitet, dass jedes Kind sich seine Welt weitgehend selbst erschaffen könne und individuell gefördert werden müsse. Dabei wird glatt unterschlagen, dass das Erlernen wesentlicher kultureller Errungenschaften eine hoch komplexe Aufgabe ist und ohne klare Führung kaum gelingt. Oft wird man auch den Eindruck nicht los, dass gewisse Exponenten der neuen Didaktik grundsätzlich Mühe haben, Autorität mit Vertrauen in Verbindung zu bringen und der unangenehmen Autoritätsfrage ausweichen. Verwirrende Vorstellungen über eine passive Lehrerrolle haben in der Volksschule bereits erheblichen Schaden angerichtet. Wenn zutiefst verunsicherte Lehrpersonen es nicht mehr wagen, aus der Rolle der grauen Maus herauszuschlüpfen und in ihren Klassen die Führung zu übernehmen, führt dies unweigerlich zu mehr disziplinarischen Problemen.
Unsere ersten beiden Beiträge befassen sich vor allem mit der Frage, was zu tun ist, um den Lehrkräften Autorität und Gestaltungsfreiheit zurückzugeben. Beim ersten Text wundert man sich, dass so viel Selbstverständliches wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Der zweite Beitrag in Form eines Interviews ist eine erfrischende Abrechnung mit didaktischen Fehlentwicklungen und praxisfernen Schulideologien.
Eine gute schulische Allgemeinbildung fördert die Lesefreude
Im zweiten Themenblock geht es um die Leseförderung in Schule und Freizeit. Die Beiträge zeigen sehr schön auf, dass es einer koordinierten Anstrengung bedarf, um mehr Jugendliche für die farbige Welt der Bücher zu gewinnen. Es ist offensichtlich, dass mit dem Konsumieren unzähliger Kurzbotschaften auf den Smartphones die Fähigkeit zum vertieften Lesen verkümmert. Was in den hier veröffentlichten Texten leider fehlt, ist eine klare Botschaft, dass die Schule eine pädagogisch überzeugende Antwort auf den überbordenden digitalen Konsum im Freizeitbereich geben müsste. Es ist die Aufgabe gut ausgebildeter Lehrkräfte, in lebendigen Lektionen und mit sehr dosiertem Einsatz digitaler Geräte wesentliche Bildungsinhalte zu vermitteln. Die Realienfächer mit Geschichte, Geografie und Naturwissenschaften bieten beste Gelegenheiten, ein Stück Welt ins Schulzimmer zu holen und in Klassengesprächen darüber zu reden. Wo schülergerecht aufbereitetes Allgemeinwissen so erworben wird, wächst das Interesse an weiterführender Lektüre.
Wie immer finden Sie in unserem Newsletter eine kleine Auswahl an gepfefferten Leserbriefen. Zusätzlich haben wir noch einen dritten Themenblock angefügt, in welchem zwei Beiträge sich mit ideologisch gefärbtem Unterricht befassen. Es geht um die Frage, wieweit die Volksschule und die Gymnasien bei Themen wie Klimaschutz, Gleichstellung der Geschlechter oder veganer Ernährung Position beziehen sollen.
Für die Redaktion: Hanspeter Amstutz