Mit frischem Schwung ins neue Jahr – Packen wir's an!
Zum neuen Jahr begrüssen wir unsere Leserinnen und Leser mit den besten Wünschen. Bleiben wir gemeinsam dran, uns für eine Volksschule einzusetzen, in der die Jugend eine «rundum» gute Bildung erwerben kann. Den Beginn setzt die «Starke Volksschule Zürich» am 2. Februar mit einem Vortagsabend zum Thema «Integration – und was ist mit dem Recht auf Bildung für alle?», zu dem wir Sie herzlich einladen (siehe Veranstaltungshinweis am Schluss).
Heisse Eisen endlich anfassen!
Im ersten Newsletter 2024 können wir Ihnen einige anregende und aufbauende Artikel aus den Medien anbieten. Dabei dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Nun «müssten die Schulreformer über den eigenen Schatten springen», statt ihre eigene Bildungspolitik schönzureden, so Carl Bossard («Loblied aufs Mittelmass»). Im neuen Jahr doppelt er in der «NZZ am Sonntag» nach, mit einem spannenden Rückblick auf seine Reise nach Finnland vor über 20 Jahren. Er wollte wissen, warum die finnischen Jugendlichen im ersten Pisa-Test so viel besser abschnitten als zum Beispiel die gleichaltrigen Schweizer. Die tragische Entwicklung der finnischen Schule seit damals sollte ein «Weckruf für die Schweiz» sein, schliesst Carl Bossard.
Auch Eliane Perret fordert angesichts der ungenügenden Lesefähigkeit vieler Schweizer Jugendlicher in ihrem NZZ-Gastkommentar von der Bildungspolitik, «auch heisse Eisen anzufassen»: So zum Beispiel die untauglichen Lernmethoden, die zu starke Gewichtung des digitalen Lernens oder die unsinnige Praxis, neu zugezogene fremdsprachige Kinder von Anfang an in Regelklassen zu setzen, statt ihnen zuerst einige Grundlagen der deutschen Sprache zu vermitteln.
Leserbriefe als Quelle zum Weiterdenken
Zu den anstehenden «heissen Eisen» äussern sich auch eine ganze Reihe von Leserbriefschreibern. Gehören Sie wie ich zu den Zeitungsleserinnen, die zuerst die Leserbriefseite lesen? Denkende Zeitgenossen, die einen oder mehrere Punkte aus einem Artikel aufgreifen, leisten einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Diskussion und zur Meinungsbildung der Stimmbürger. Allein die Beispiele in diesem Newsletter bringen einige Probleme auf den Punkt und regen Lösungen an. Versuchen Sie es doch selbst einmal – ein Leserbrief darf auch ganz kurz und muss nicht perfekt sein.
Wie man Kinder mit anderen Muttersprachen in Schule und Gesellschaft integriert
Wir haben nun einmal einen grossen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus fremdsprachigen Familien. Statt darüber zu jammern, würden unsere Bildungspolitiker gescheiter etwas tun. Wenn Sie als Erwachsener nach Griechenland oder Finnland auswandern würden, um dort eine Stelle anzutreten, würden Sie vermutlich einen Griechisch- beziehungsweise einen Finnisch-Kurs besuchen. Im Gegensatz dazu muten wir unseren aus fernen Ländern zugezogenen Kindern und Jugendlichen absurderweise zu, dass sie in Schulzimmern sitzen, wo sie zuerst gar nichts und später nur einen Teil von dem verstehen, was da abläuft. Wie sollen sie auf diese Weise den Lernstoff erfassen können? Eliane Perret weist auf die früheren Kleinklassen E hin: Dort konnten sich Kinder ohne Deutschkenntnisse ein oder zwei Semester lang ganz auf das Lernen der Sprache konzentrieren, um anschliessend mit den Gspänli ihres Jahrgangs zusammen in der Regelklasse weiter zu lernen. Diese sinnvolle Einrichtung würde auch heute allen nützen: Den jungen Zuwanderern, den Mitschülern und den Lehrkräften.
Eine ganz andere Frage ist, warum viele fremdsprachige Kinder, die schon vor ihrer Einschulung in der Schweiz aufgewachsen sind, nur unzulänglich deutsch lesen und schreiben lernen. Das sollte doch in elf Jahren Kindergarten, Primarschule und Oberstufe möglich sein – dafür wurde die Volksschule erfunden, Gopfriedstutz nochmal! Das ganze Getue um die Frühförderung im Namen der Chancengleichheit lenkt von der zentralen Aufgabe der Volksschule ab, allen Kindern die notwendigen Grundlagen für ihr Leben in der Familie und im Beruf sowie für die demokratische Teilhabe an unserer Gesellschaft mitzugeben. Die familiären und sozialen Unterschiede kann die Schule logischerweise nicht völlig ausgleichen, aber sie hat – zusammen mit den Eltern – die Pflicht und Schuldigkeit, das Ihre zur Chancengleichheit beizutragen. In diesem Newsletter finden Sie verschiedene Anregungen, wie das gelingen kann.
Einmal mehr: Warum der Computer das Lesen eines Buches nicht ersetzen kann
Sehr eindrücklich und spannend schildert die Lese-Expertin Maryanne Wolf die völlig unterschiedliche Weise, wie wir auf dem Bildschirm Informationen erfassen und wie wir ein Buch lesen (sollten). Vertieftes Lesen mit allem, was dazu gehört (zum Beispiel Verknüpfung des eigenen Hintergrundwissens mit dem gelesenen Text, Eintauchen in den Standpunkt einer Autorin, Schlussfolgerungen ziehen, Assoziationen bilden, Argumente kritisch analysieren) muss man üben, so Frau Wolf: «Ein Medium sollte nicht alles dominieren – das ist ungesund wie eine einseitige Diät. Unser Lesegehirn darf nicht verkümmern.»
Zu ergänzen ist: Voraussetzung für das Training dieser Fähigkeiten ist das, was der Pisa-Test bei 15-Jährigen misst, nämlich die Fähigkeit, einen Text zu lesen und ihm Informationen entnehmen zu können. Diese Grundlagen müssten Kinder aber bereits in den ersten Schuljahren lernen! Mit zunehmender Übung sollten die Texte und die damit verbundenen Überlegungen selbstverständlich anspruchsvoller werden. Dazu braucht es viel Zeit und Musse, und es braucht eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse liest. Wenn ich meine Berufsschulklassen gefragt habe, ob sie einen Text allein oder gemeinsam lesen wollen, kam regelmässig die Antwort: Miteinander. Einzeln lesen viele über nicht verstandene Begriffe oder Sätze hinweg. Zum Leseerlebnis wird es, wenn Unklarheiten gemeinsam geklärt werden und die Schüler im Klassengespräch beginnen zu verstehen, worum es geht und wie sie selbst drin stehen. Vertieftes Lesen, so wie Maryanne Wolf es verlockend schildert, setzt dieses gemeinsame Üben und Erleben voraus. Deshalb – das können Sie auch einigen Leserbriefen in diesem Newsletter entnehmen – muss im Schullehrplan zwingend einiges gestrichen werden, um genügend Zeit zum Deutsch-Lesen- und Schreibenlernen zu schaffen.
Auf einen Baum klettern lernt man nicht beim Sitzen vor dem Bildschirm
Wo ich Frau Wolf gar nicht folgen kann, ist bei ihrer Einschätzung, ab fünf Jahren könnten «Print und Digital nebeneinander laufen».» Viel zu früh! Virtuelles Legospielen? Jeder Handwerker kann erklären, warum das Zusammensetzen dreidimensionaler Klötze auf dem Boden nicht durch ein digitales Spiel ersetzt werden darf.
Als besonderen Genuss empfehle ich die Lektüre von «Schule ohne soziale Medien» der Unternehmerin und Mutter Margarita Louis-Dreyfus, einer Angehörigen der «oberen Zehntausend» dieser Welt, die einen klaren Standpunkt in Bezug auf die Digitalisierung zu Hause und in der Schule vertritt: «Viele medizinische Experten warnen, dass eine frühe Digitalisierung und der zunehmende Einsatz von sozialen Medien im Kindesalter schädlich sind für die emotionale, körperliche und intellektuelle Entwicklung. Viele meiner Freunde beschweren sich, dass sie ihre Kinder an die Social Media verloren haben und sie nichts dagegen tun können. Es ist, als ob wir die Kinder – statt ihnen das Laufen beizubringen – direkt auf ein Fahrrad, ja auf ein E-Bike setzen. Sie überspringen in dieser entscheidenden Lebensphase wichtige Lernprozesse für ihre spätere Widerstandsfähigkeit.» Also nichts mit digitalem Legospielen…
Zum Schluss ein paar andere Themen
Nun aber genug zum Thema Digitalisierung. Wir können ihnen auch einige andere interessante Themen anbieten. In aller Kürze:
«Gute Schüler wählen bewusst die Lehre»: Ein langjähriger Berufsbildner bestätigt mit seinem Leserbrief einen Bericht im Tages-Anzeiger, wonach viele gute Schüler lieber eine anspruchsvolle Lehre mit BMS als das Gymi absolvieren. Man spürt beim Lesen, dass der Autor sich an den aufgeweckten jungen Leuten freut und sie gerne «fördert und fordert».
«Schulassistenz – ein Job, der boomt»: Um den Lehrermangel zu überbrücken, setzen einige Bildungsverantwortliche, vor allem in den Städten, «Schulassistentinnen» als Hilfspersonal ein, Leute ohne Lehrerausbildung mit einem entsprechend tieferen Lohn. Die Voraussetzungen, damit es etwas bringt: Lehrer und Assistentin harmonieren gut miteinander und, besonders wichtig, die Rollen müssen geklärt sein, das heisst «die Lehrerin ist die Chefin und trägt allein die Klassenverantwortung.» Tönt nicht schlecht, jedenfalls als Übergangslösung. Warten wir einmal ab, wie sich die Einrichtung weiterentwickelt. Aber um die Ausbildung von Klassenlehrern und Heilpädagoginnen, die nicht nur lernen zu coachen, sondern zu unterrichten, kommen wir nicht herum.
«Die Volksschule hat grosse Probleme, doch die Politik redet die Probleme schön. Wieso?» Wirtschaftsprofessor Tobias Straumann zieht einen bemerkenswerten Vergleich zwischen der Wirkung der Pädagogischen Rekrutenprüfungen im 19. Jahrhundert als Beispiel eines lebendigen Föderalismus und der heutigen «Aushebelung des Föderalismus» durch die Herrschaft der EDK. Während eine Rangliste der Kantone die Behörden in früheren Zeiten zum «Gumpe» gebracht hat, beweihräuchern die EDK-Oberen heute die «guten» Pisa-Resultate und gehen ganz einfach über die Tatsache hinweg, dass ein Viertel unserer Schulabgänger nicht richtig Deutsch gelernt hat. Ein Ausrufezeichen zum Abschluss unserer Textsammlung.
Für die Redaktion: Marianne Wüthrich