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Newsletter vom 17. 12. 2023

PISA als Anstoss, den Bildungsauftrag wieder aufs Wesentliche zu fokussieren

PISA als Anstoss, den Bildungsauftrag wieder aufs Wesentliche zu fokussieren

Ein Viertel unserer Jugendlichen hat schlechte Karten für das Erlernen einer ganzen Reihe von Berufen, weil sie laut PISA-Studie einfachste Texte nicht verstehen. Diese Leseschwäche bedeutet ein gewaltiges Handicap. Wer Mühe hat mit dem Leseverstehen und dem Schreiben einfachster Mitteilungen, hat in unserer Kommunikationsgesellschaft bald einmal ein schlechtes Selbstwertgefühl. Eine Schule, welche bei der Erfüllung ihres Grundauftrags dermassen versagt, muss sich deshalb harte Fragen gefallen lassen.


Dennoch wäre es völlig verfehlt, jetzt einfach den Lehrkräften die Schuld für das PISA-Lesedebakel in die Schuhe zu schieben. Mit kreativen Methoden wird in unzähligen Schulzimmern tagtäglich versucht, auch den Schwächeren beim Lesen zum Erfolg zu verhelfen. Zu Recht beklagen jedoch die meisten Lehrpersonen, dass die unzähligen Kompetenzziele eines randvollen Bildungsprogramms eine Konzentration aufs Wesentliche erschweren. Sie sind gebunden an einen Lehrplan, der den hektischen Takt vorgibt und zu wenig Zeit für das wichtige Üben und Vertiefen des Schulstoffs übriglässt.Ein völlig

überladenes Bildungsprogramm

Von den Schulexperten wird schon seit Jahren verkündet, dass die Schule daran sei, ein grossartiges Bildungsprogramm zu realisieren. Was wurde nicht alles an neuen Bildungszielen und Kompetenzversprechen in den Lehrplan verpackt! Alle Kinder sollen am Ende der Primarschule munter Französisch parlieren und sich auf Englisch unterhalten können. Die deutsche Hochsprache könne im Rahmen einer modernen Mehrsprachendidaktik effizient vermittelt werden. Das neue Fach Medienkunde werde die Kinder davor schützen, auf fake News hereinzufallen. Und dank der Digitalisierung sei es möglich, jedes Kind aufgrund seines Begabungsprofils durch individualisierte Bildungsprogramme gezielt zu fördern. Fast jeder Bildungswunsch aus der Gesellschaft wurde aufgenommen, ohne jedoch zu fragen, was das System Schule tatsächlich zu leisten imstande ist.


PISA hat für uns keine Überraschungen gebracht, denn in der Deutschförderung läuft schon seit Jahren einiges schief. Doch sämtliche Warnungen aus der Lehrerschaft, man dürfe das Fuder nicht überladen und müsse mehr Wert auf das gemeinsame Üben in der Klassengemeinschaft legen, wurden von tonangebenden Bildungsexperten in den Wind geschlagen. Die Antwort auf die Kritik lautete stets: Raschere Digitalisierung, noch mehr individualisieren und zusätzliche Lehrpersonen in den Regelklassen einsetzen. Sollte sich der Erfolg trotz allem nicht einstellen, liege das nur an den ungenügenden finanziellen Mitteln.


Wie lange soll der Sinkflug der Schule noch dauern, bis die EDK über die Bücher geht?


Die offizielle Bildungspolitik der EDK beschönigt wie immer, wenn etwas schiefläuft. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Man ist zutiefst schockiert, fürchtet sich aber davor, wirklich über die Bücher gehen zu müssen. Dieses mutlose Wegschauen der Erziehungsdirektoren wird in zwei kurzen Beiträgen scharf kritisiert. Régis Ecklin zählt in der Weltwoche in prägnanten Sätzen auf, wo bei den Bildungsverantwortlichen die blinden Flecken liegen. Und Chefredaktor Patrick Müller nimmt in der Aargauer Zeitung kein Blatt vor den Mund, wenn er in seinem Kommentar analysiert, dass der völlig überladene Lehrplan zu einem Substanzverlust im Deutschunterricht geführt hat. Drei bemerkenswerte Leserbriefe ergänzen die Kritik mit weiteren starken Argumenten.

Wenn Sie Zeit für eine vertiefte Analyse zu PISA haben, empfehlen wir Ihnen den ausführlichen Gastbeitrag von Felix Schmutz aus dem Condorcet-Blog. Auch er prangert die erwähnte Vogel-Strauss-Politik der EDK an und erachtet einige der dogmatischen Vorgaben als schwere Hypothek für die Schule. Seine sechs Forderungen sprechen Fragen an, die nur mit einer inneren Reform der Volksschule gelöst werden können. Es gilt, eindeutige Korrekturen an gewissen Fehlentwicklungen vorzunehmen. Die zu frühe Digitalisierung in der Primarschule, die belastende Integration und ineffiziente Selbstlernmethoden werden ausdrücklich erwähnt. Es ist eine brillante Analyse, die zweifellos wegweisend ist.

Konkrete Anregungen, wie die Lesekrise überwunden werden könnte, finden Sie auch in meinem Beitrag über eine Aufwertung des Deutsch- und Realienunterrichts. In diesen Kernfächern der Volksschule wird neben ihrer sprachfördernden Grundfunktion wertvolle Kulturvermittlung geleistet. Dabei ist sicher nicht falsch, daran zu erinnern, dass viele der aufbauenden Bildungsinhalte kaum messbar sind, aber Wesentliches zur Gesamtentwicklung der Kinder beitragen. Die Resultate von PISA gilt es deshalb in Bezug auf eine ganzheitliche Vorstellung von Bildung zu relativieren. In diesen Zusammenhang gehört auch das Interview mit einem Hirnforscher, in welchem er auf die grosse Bedeutung der Handschrift für die kindliche Entwicklung hinweist.

Zwei ermutigende bildungspolitische Beiträge, die zuversichtlich stimmen

Da ist einmal ein Interview mit zwei jungen Berufsleuten, die aus innerer Überzeugung eine Berufslehre dem Weg ins Gymnasium vorgezogen haben. Beide hatten in der Sekundarschule beste Zeugnisnoten, aber sie suchten bewusst die praktische Herausforderung im Leben. Der eine war von Kindsbeinen an fasziniert von der Holzbearbeitung und fand im Beruf des Zimmermanns genau das, was ihn erfüllte. Herrlich, wie er im Interview seinen Berufsstolz ausdrückt und wie er an den beiden Schultagen der Berufsmittelschule das Lernen offensichtlich geniesst. Im zweiten eindrücklichen Beispiel geht es um einen jungen Mann mit starkem Selbstbewusstsein, der als Fachangestellter Gesundheit eine Ausbildung absolviert. Die Berichte zeigen, welche Chancen unser duales Berufsbildungssystem jungen Leuten bietet, wenn ihnen keine Steine aus dem Bereich eines falschen Prestigedenkens in den Weg gelegt werden.

Der zweite Beitrag ist eine Stellungnahme unseres Vereinspräsidenten zu den Vorschlägen der Zürcher Bildungsdirektion zum Projekt «Erweiterter Lernraum». In einer differenzierten Analyse wird festgehalten, dass das vorgeschlagene Integrationsmodell auf verdeckte Weise die Separation verstärkt und zu noch mehr Unruhe in den Regelklassen führt. Der Verein Starke Volksschule Zürich lehnt die mutlosen Vorschläge der Bildungsdirektion ab und weist darauf hin, dass mit der Initiative zur Wiedereinführung von Förderklassen eine überzeugendere Lösung vorgeschlagen wird.

Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Start im neuen Jahr.

Nach einer Pause über die Festtage melden wir uns in der zweiten Januarwoche wieder.

Hanspeter Amstutz