Mit der kantonalen Volksinitiative für Förderklassen wird ein heisses Eisen angepackt
Im Kanton Zürich kommt Bewegung in die erstarrte Politik bei der schulischen Integration. Mit einer kantonalen Volksinitiative zur Wiedereinführung von Förderklassen soll für die Schulen eine schon seit Jahren geforderte Entlastung geschaffen werden. Die zunehmenden Klagen unzähliger Klassenlehrpersonen, die angeordnete Integration stark verhaltensauffälliger Schüler in die Regelklassen erschwere einen geordneten Schulbetrieb massiv, sind nicht mehr zu überhören. Auch Eltern reklamieren, dass das Störpotenzial einzelner Schüler konzentriertes Arbeiten der Lernwilligen in manchen Klassen beeinträchtige. Kaum Kritik gibt es hingegen gegenüber Kindern, die durch eine geistige oder körperliche Behinderung den Regelklassen zugeteilt wurden. Hier besteht vielmehr die Schwierigkeit, dass diese Kinder im Rahmen eines normalen Schulprogramms in vielen Fällen nicht ausreichend gefördert werden können. Klassenlehrkräfte fühlen sich überfordert, wenn sie einen sehr hohen Betreuungsaufwand für einzelne Kinder leisten und gleichzeitig anspruchsvolle Unterrichtsziele erreichen müssen.
Seit der Einführung des neuen Volksschulgesetzes gilt das Dogma der Integration aller Kinder in die Regelklassen. Keine Schülerin und kein Schüler sollte durch separate Schulung ausgegrenzt und für den weiteren Lebensweg stigmatisiert werden. Was theoretisch gut tönt, hat sich allerdings in der Praxis als kaum zu bewältigende Aufgabe herausgestellt. Eigentlich müssten den Klassenlehrpersonen für die schulische Förderung integrierter Kinder gut ausgebildete Heilpädagoginnen zur Seite stehen. Doch die von Klasse zu Klasse eilenden Spezialistinnen sind oft nicht da, wenn es zu Wutausbrüchen oder Lernblockaden bei den Verhaltensauffälligen kommt. Es zeigt sich, dass das Modell der Totalintegration in stärker belasteten Klassen nicht funktioniert und die Lehrpersonen im Stich gelassen werden.
Die Initiative packt ein heisses Eisen an, indem sie das unselige Dogma der Verunglimpfung separativer Schulung infrage stellt. Im Volksschulgesetz besteht zwar die Möglichkeit, mit viel administrativem Aufwand eine Kleinklasse zu führen. Doch die Hürden mit psychologischen Abklärungen und finanziellem Mehraufwand sind so hoch, dass gerade noch in zwei Zürcher Schulgemeinden Kleinklassen geführt werden. Man hat in der Bildungsdirektion und an der Schule für Heilpädagogik seit siebzehn Jahren gezielt darauf hingearbeitet, die Kleinklassen im ganzen Kanton abzuschaffen. Heilpädagoginnen werden für eine therapeutische Einzelbetreuung der Kinder ausgebildet und nicht mehr auf die Führung von Kleinklassen vorbereitet. Doch unterdessen beklagen sich viele Heilpädagoginnen, dass der verzettelte Einsatz in mehreren Klassen aus pädagogischer Sicht für sie völlig unbefriedigend sei.
Nach 17 Jahren des Experimentierens braucht es endlich praktikable Lösungen
Der Scherbenhaufen der Totalintegration ist so gross, dass selbst die einstigen Befürworter des Modells zugeben, es sei zu viel schiefgelaufen. Linksstehende Politikerinnen fordern deshalb unisono den Einsatz von noch mehr Heilpädagoginnen in den Regelklassen und zusätzliche finanzielle Mittel. Doch die Forderung ist angesichts des Lehrermangels und des bereits arg strapazierten Budgets für die Sonderpädagogik absolut illusorisch. Auf etwas andere Weise streuen ideologische Verteidiger des Integrationsgedankens den Leuten Sand in die Augen, indem sie von neuen Versuchen mit Lerninseln sprechen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht wieder ein Absolutheitsanspruch für ein bestimmtes Fördermodell propagiert und die praktische Umsetzung einmal mehr verzögert würde.
Die Schulen haben jetzt siebzehn Jahre lang Zeit gehabt, um Integrationsmodelle zu entwickeln. In der Schulpraxis weiss man längst, was gescheitert ist und welche Alternativen zu Kleinklassen unter gewissen schulischen Bedingungen infrage kommen. Die Bildungspolitik hat in der Integrationsfrage versagt und sollte mit dem Verschiessen von weiteren Nebelpetarden endlich aufhören. Will man den Schulen ehrlich unter die Arme greifen, braucht es den Mut zu flexibleren Lösungen. Die Gemeinden sollen den Entscheid zwischen separativen und integrativen Fördermodellen selbst treffen können.
Wir haben Ihnen in unserem Newsletter ein ganzes Bündel von Texten, Interviews und Kommentaren im Zusammenhang mit der Förderklassen-Initiative zusammengestellt. Wir nehmen an, dass dies erst der Auftakt zu heftigen Diskussionen um den richtigen Weg in der schulischen Integration ist. Wir hoffen sehr, dass diese ewige Baustelle nun aufgeräumt wird.
Stadtzürcher Schulen müssen sich mit einem vermeintlich heissen Eisen befassen
Die Präsentation eines Geschichtslehrmittels des Präsidialamts der Stadt Zürich über die Verwicklung von Zürcher Kaufleuten in den einstigen Sklavenhandel hat im Kanton für einige Aufregung gesorgt. Es geht dabei um die Verwandtschaft von Alfred Escher. Der Zürcher Eisenbahnpionier und Förderer des jungen Bundesstaats von 1848 wird im Buch auf ungerechtfertigte Weise mit den trüben Machenschaften seines Onkels in Zusammenhang gebracht. Das Lehrmittel soll darüber hinaus die Schüler über rassistische Symbole aufklären und Spuren des einstigen Kolonialismus in der Stadt aufdecken. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn auf offensichtliche Fehlinterpretationen verzichtet und kein so einseitig negatives Bild einer für Zürich bedeutenden Epoche vermittelt würde. In einem Kommentar in der NZZ ist gar von einer «haarsträubenden Geschichtsklitterung» die Rede.
Man fragt sich zu Recht, welche Vorstellungen der Zürcher Stadtrat vom Auftrag des Geschichtsunterrichts in unseren Sekundarschulen hat. Aus staatskundlichen Gründen gäbe es weit Dringenderes als beim Begriff Mohrenkopf sofort an Rassismus zu denken. Unsere Schulabgänger wissen in den seltensten Fällen, welche Leistungen der umstrittene Alfred Escher beim wirtschaftlichen Aufbau des Kantons und beim Bau der Gotthardbahn spielte. Weit bedenklicher ist jedoch, dass unsere Jugend kaum Kenntnisse über Meilensteine der modernen Schweizer Geschichte hat, weil verunsicherte Lehrpersonen dieses Minenfeld umstrittener Meinungen meiden. Welches die Gründe für das Malaise sein könnten, finden Sie in meinem Beitrag zum aktuellen Geschichtsunterricht in der Volksschule.
Die Notenproblematik scheint erneut aufzuflammen
Trotz unzähliger gescheiterter Versuche, die Zeugnisnoten abzuschaffen, probiert es die Stadt Luzern mit einem neuen Anlauf. In seinem kritischen Beitrag in den Zentralschweizer Printmedien berichtet Adi Kälin über den Luzerner Versuch. Er weist darauf hin, dass die bildungspolitisch wagemutige Stadt Basel bei der Notenabschaffung zurückgekrebst ist, weil Einbussen bei den Schulleistungen festgestellt wurden.
Wer sich etwas gründlicher mit dem Thema auseinandersetzen möchte, findet in der Radiosendung von SRF 1 mit dem Titel «Sind Schulnoten noch zeitgemäss?» überzeugende Antworten von Carl Bossard für die Beibehaltung des bisherigen Systems. Der erfahrene Rektor sieht in einem Klima des ermutigenden und fairen Lernens keinen Grund, auf eine Klarheit schaffende Notengebung zu verzichten.
Nachlese auf ein bewegendes Thema und zwei Veranstaltungshinweise
Die Diskussion um den Wert des gymnasialen Bildungswegs gegenüber der beruflichen Ausbildung hat in der Presse im vergangenen Monat hohe Wellen geschlagen. Stadtrat Leutenegger unterstreicht in seinem Beitrag, dass in unserem Land gut ausgebildete Berufsleute beste Chancen haben vorwärtszukommen und gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Leserbriefschreiber sehen in einer hohen Gymnasialquote die Gefahr, dass die gymnasialen Leistungsanforderungen sinken und der Fachkräftemangel weiter steigen wird.
Gerne weisen wir Sie am Schluss auf zwei Veranstaltungen hin, bei denen die beiden Starken Schulen für die Organisation zuständig sind. Sie sehen, in Sachen Bildung läuft zurzeit einiges.
Für die Redaktion der Starken Volksschule Zürich
Hanspeter Amstutz