Die kritischen Stimmen lassen sich nicht zum Verstummen bringen
Die kritischen Stimmen zu den für Lehrer und Schüler folgenschweren Schulreformen lassen sich nicht zum Verstummen bringen, und das ist gut so.
Carl Bossard legt einmal mehr den Finger auf die mangelhafte Lesefähigkeit zahlreicher Schulabgänger und fordert genügend Zeit und Musse für das intensive Training von Grundfertigkeiten. Er und viele andere Pädagogen warnen seit Jahren vor den fatalen Folgen des Lehrplan 21 und der damit verbundenen Lehrmethoden und fordern Abhilfe. Lesen Sie in seinem Artikel, was es braucht, damit alle Kinder in der Schule lesen lernen. Oder bei Mario Andreotti, warum das Fach Geschichte nicht auf eine Wochenlektion reduziert oder gleich ganz abgeschafft werden darf. (Dass so etwas überhaupt allen Ernstes geplant wird, zeigt allein schon das Niveau der «Experten»!)
Lesen und Meinungsbildungsprozess in der direkten Demokratie
Die schwachen Resultate der Schweizer Jugendlichen bei den PISA-Lesetests sind nur die Spitze des Eisbergs: Denn hier müssen sie lediglich in einem einfachen Text bestimmte Informationen finden. Hingegen befinden wir uns auf einer ganz anderen Ebene, wenn es darum geht, einen längeren Text zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen, die Inhalte mit anderen Informationen zu vergleichen und sich schliesslich eine eigene Meinung zu bilden. Zu Recht mahnt Carl Bossard: «Lesen ist die Schlüsselkompetenz für jede Selbstbildung – und für die gesellschaftliche Willensbildung, wie sie vor allem in Demokratien vorausgesetzt wird.»
Mit meinen Berufsschulklassen habe ich oft das Abstimmungsbüechli gelesen und erste Unklarheiten geklärt, dann besorgten die Schüler sich weitere Informationen und stellten ihre Erkenntnisse in kleinen Gruppen zusammen (wobei ich mich bei Bedarf einschaltete). Anschliessend präsentierten sie ihre Ergebnisse der Klasse. In der gemeinsamen Diskussion brachten die Jugendlichen Argumente pro und kontra ein. Häufig mussten jedoch zuerst inhaltliche Unklarheiten und falsch Verstandenes geklärt und staatskundliches Wissen erarbeitet werden. Sprachliche Fehler entdeckte meist der eine oder die andere Mitschülerin. In dieser Art macht auch fächerübergreifender Unterricht Sinn.
Stressbewältigung mit Hilfe verlässlicher Beziehungen
Daniel Wahl greift eine weitere fatale Folge nicht kindgemässer Schulreformen und Erziehungsfehler auf: Immer mehr Kinder und Jugendliche werden körperlich und / oder seelisch krank.
Die Jugendpsychiaterin rät unter anderem, die Lehrpläne weniger vollzuladen und damit Lehrkräfte und Kinder zu entlasten, weist aber auch auf den häufigen Wechsel der Bezugspersonen in der Schule hin. Dass viele junge Leute sich alleingelassen fühlen und keine Zukunftsperspektiven haben, zeigt einen Mangel an Sicherheit und Vertrauen in der Beziehung zu Eltern und Lehrern. Zu ergänzen ist: Dieser Mangel ist auch den sogenannt progressiven Lernformen geschuldet wie dem «selbst organisierten Lernen (SOL)» und der Vereinzelung der Kinder in «Lernnischen» und «Rückzugsinseln». Nicht zu vergessen: Die Digitalisierung des Unterrichts bereits im Kindergarten und in der Primarschule sowie zu früher und übermässiger Konsum sogenannter «sozialer Medien» fordern ebenfalls ihren Tribut.
Oder positiv formuliert: Schule und Erziehung im Elternhaus basieren idealerweise auf verlässlichen, sowohl zutrauenden als auch fordernden Beziehungen von Eltern und Lehrern zu den Kindern. Vom Noten- und Prüfungsstress war seit jeher die Rede, aber Tatsache ist: Wenn das Kind sich bei seinen Bezugspersonen sicher fühlt, erträgt es auch manchmal etwas «Stress» in der Schule. Prüfungen und Anforderungen verschiedener Art und Intensität wird auch das spätere Leben bringen – umso besser, wenn man gut gerüstet ins Erwachsenenleben eintritt.
«Nachteilsausgleich» zementiert ungleiche Chancen
Es ist paradox: Integration und Inklusion werden gepriesen, weil damit angeblich alle Kinder gleich gute Chancen haben. In Wirklichkeit ist längst bekannt, dass Kinder mit verschiedensten Beeinträchtigungen eben gerade schlechtere Chancen haben, wenn sie mit guten Lernern zusammen dem Unterricht folgen sollen, es aber nicht können. Also werden sie «lernzielbefreit» oder erhalten Erleichterungen in Prüfungen.
Lesen Sie im Artikel «Blindflug im Umgang mit schulischen Störungen», welche Absurditäten erfunden werden, um die Nachteile einzelner Schüler angeblich auszugleichen. Statt jedes Kind adäquat zu fördern – wie es oft in einer Kleinklasse am besten möglich ist – betreibt man Pflästerlipolitik und lässt die armen Kinder in einer Klasse sitzen, wo sie den Anschluss immer mehr verlieren. Kein Wunder, stören manche dieser Kinder den Unterricht.
«Wir hatten anfangs keine Ahnung, ob es machbar sei»
Was die Verantwortlichen in der Bildungsverwaltung und den pädagogischen Hochschulen von sich geben, um die massiven Probleme in der Volksschule kleinzureden und sich selbst reinzuwaschen, ist mehr als peinlich.
Kurz zusammengefasst: Die grundsätzlichen ernsthaften Einwände von zahlreichen erfahrenen Lehrkräften, Eltern und Pädagogik-Dozenten werden von den Täterinnen und Tätern ganz einfach in den Wind geschlagen. Die eine erklärt, die Integration sei «insgesamt gut gelungen», der andere, man sei halt «erst auf halbem Weg» – ja, was jetzt? Die Lehrerin aus der kantonsrätlichen Bildungskommission gibt sogar zu, dass sie und ihre Kollegen am Anfang «keine Ahnung hatten, ob es machbar sei», aber jetzt sei sie von der Integration «überzeugt».
Und die Herren Professoren von der PHZH behaupten doch tatsächlich, «Studien aus 30 Jahren Forschung» würden belegen, dass in den Integrationsklassen «Kinder mit besonderen Bedürfnissen mehr lernen, die besseren Jobs finden und sozial weniger benachteiligt sind» [als in Kleinklassen]. Das isch de Gipfel! Die kommen mit irgendwelchen «Studien» von irgendwem irgendwo und ignorieren den ultimativen Einspruch der Realität im Hier und Jetzt.
Die «Happy-End-Maschine» – oder doch gute öffentliche Volksschulen?
Kein Wunder, schicken viele Eltern ihre Kinder in Privatschulen. In unserer Textsammlung finden Sie zwei zufällig in den Medien abgedruckte Beispiele aus Hunderten oder Tausenden. Zum Beispiel die 80jährige Heilpädagogin Ruth Baumgartner, die sich mit originellen Methoden einiger «schwieriger Kinder» annimmt und sie einfühlend und in Ruhe auf den Weg zum Lernen mitnimmt. Warum nicht auch in der Volksschule?
Aber lesen Sie selbst, was Sie «gluschtet».
Marianne Wüthrich