Klare Lehrerrollen und realistische Erwartungen an die Schule reduzieren Schulkonflikte
Heutige Kinder und Jugendliche sind sich gewöhnt, dass ihre Aufmerksamkeit in der Freizeit von verschiedenen Seiten her beansprucht wird. Stets in Griffweite ist das Handy, auf dem oft im Minutentakt neue Meldungen eintreffen. Ist einmal kurz Nachrichtenpause, tritt die permanent laufende Hintergrundmusik im Zimmer umso deutlicher ins Bewusstsein. Ein vertieftes Spielen mit traditionellen Spielsachen wie etwa mit einem Lego-Bausatz oder einem 500er-Puzzle ist für viele Kinder gar nicht so einfach, denn aufregende Computerspiele und Chats mit Kolleginnen sind allgegenwärtige Verlockungen. Nur selten finden sie die Ruhe, um die eigene Innenwelt beim Spielen zu entdecken. Das Angebot an elektronischen Spiel- und Kommunikationsmöglichkeiten ist einfach zu gross.
Konzentrationsfähigkeit entscheidet über den Schulerfolg
Besorgt stellen Lehrpersonen fest, dass viele Kinder zunehmend Schwierigkeiten haben, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Die Frage, wie ruhiges Lernen im Umfeld eines hektischen Lebensstils gelingen soll, ist eine grosse Herausforderung. Weitgehend einig ist man sich, dass eine gute Konzentrationsfähigkeit eine zentrale Rolle für den Lernerfolg spielt. Hilfreich für Lehrpersonen erweist sich, die Themen attraktiv zu gestalten, die Klassen mit pädagogischer Festigkeit zu führen und die Breite des Unterrichtsstoffs zu reduzieren. Doch dieser bewährte Unterrichtsstil, der zur Stabilisierung von leicht ablenkbaren Kindern und Jugendlichen beiträgt, scheint im didaktischen Mainstream zurzeit wenig Anklang zu finden. Noch herrscht oberflächlicher Optimismus vor, dass mit didaktischer Professionalität der Lehrpersonen und modernen digitalen Lernprogrammen alle Schwierigkeiten gemeistert werden können.
Ein grosses Missverständnis in der Pädagogik ist die Vorstellung, Lernen sei eine Form von Unterhaltung und habe sich primär an der kindlichen Welt des Spielens und an digitalen Lernspielen zu orientieren. Carl Bossard erinnert in seinem Leitartikel daran, dass erfolgreiches Lernen vielmehr mit einer Bergtour zu vergleichen ist. Da geht es um das Passieren heikler Stellen, um ausdauerndes Hinaufsteigen und gegenseitige Unterstützung auf einem langen Weg. Das Ziel spornt an und der frohe Mut der Gruppe lässt Hindernisse leichter überwinden. Ganz ähnlich ist es beim gemeinsamen Lernen in einem ermutigenden Umfeld. Der Klassenlehrer ist der Bergführer, dem die Jugendlichen vertrauen und bei dem sie spüren, dass sie mit ihm ein bedeutendes Ziel erreichen werden. Sie schätzen seine Authentizität und respektieren seine Widerstandskraft gegen ausufernde Wünsche.
Das konturlose Lehrerbild des Lernbegleiter schafft kein Grundvertrauen
Die Volksschule leidet heute unter unklaren gesellschaftlichen Vorstellungen über die Lehrerrolle und den inhaltlichen Grundauftrag der Schule. Nach Meinung mancher Reformer sollen Lehrpersonen sich weitgehend unauffällig verhalten und die Kinder beim eigenständigen Lernen nur begleiten. Dieses konturlose Lehrerbild hilft den meisten Schülern jedoch nicht, über das Spielerische und Unverbindliche hinaus eine feste Arbeitshaltung zu entwickeln. Wie Carl Bossard treffend schreibt, haben Lehrerinnen und Lehrer die Aufgabe, Türhüter zur Erwachsenenwelt zu sein. Mit massvoller Strenge, aber auch mit der nötigen Empathie bereiten sie die Schüler auf Grundanforderungen des Lebens vor.
Für diese anspruchsvolle Aufgabe braucht jede Lehrerin und jeder Lehrer eine gesellschaftliche Rückendeckung. Doch diese kann nur eingefordert werden, wenn die Schule selbst die Lehrerrolle wieder aufwertet und realistischere Erwartungen an den Lehrerberuf vertritt. Eine Pädagogik, welche die Lehrerrolle verwässert, indem sie die Lehrpersonen zu Lernbegleitenden abstuft, untergräbt deren notwendige Autorität. Jugendliche müssen sich mit Ihrer Klassenlehrerin auseinandersetzen können, um gewisse Werte besser zu erkennen.
Wie die zunehmenden Störungen im Schulbetrieb zeigen, erweist sich ein Verzicht auf eine klare Führungsfunktion der Lehrpersonen offensichtlich als konfliktfördernd. Leider gibt die neuste Studie des LCH zur Gewalt in den Schulen kaum Aufschlüsse über die tieferen Ursachen der Störungen und aufseiten der Didaktik kümmert man sich zu wenig um die veränderten psychologischen Voraussetzungen bei den Heranwachsenden. Naiv wäre es auch zu glauben, zurückhaltend agierende Lehrpersonen mit blassem Profil hätten weniger Konflikte mit Eltern. Ganz im Gegenteil. Dass sich heute zwei von drei Lehrpersonen in bestimmten Situationen bedroht fühlen, gibt auf jeden Fall zu denken.
Lehrerinnen und Lehrer als Kulturvermittler
Was in den Schulen an grundlegenden Inhalten vermittelt wird, ist nicht Nebensache und die Themen sind nicht beliebig austauschbar. Mit der Umstellung auf das Kompetenzenmodell ist der vertraute elementare Bildungskanon jedoch stark abgewertet worden. Mit seiner Überfülle an verbindlichen Kompetenzzielen untergräbt der neue Lehrplan seine eigene Verbindlichkeit. Wir wissen heute nicht mehr, welche Bildungsinhalte beispielsweise in der neueren Schweizer Geschichte in den Klassen der Sekundarschule zur Sprache kommen. Haben die Schüler eine Ahnung von der Industrialisierung im Kanton Zürich und wissen sie über die Schweiz im Zweiten Weltkrieg Bescheid? Eine Schule, die sich primär über Kompetenzziele und nicht über fassbare Bildungsinhalte definiert, bleibt eine blasse Bildungseinrichtung. Es wertet die Schule jedoch auf, wenn wir wissen, dass in allen vierten Klassen die Heimatkunde der eigenen Gemeinde zum verbindlichen Hauptthema wird und die Schüler mit der eigenen Vergangenheit vertraut werden.
In einer Welt der raschen Bildwechsel und Daueraufregung bekommen Lehrpersonen als Kulturvermittler eine neue Bedeutung. Lehrpersonen benötigen aber für diesen Auftrag mehr Zeit, um thematische Schwerpunkte setzen zu können. Nicht das Abhaken von möglichst vielen Kompetenzzielen steht im Vordergrund, sondern das Vertiefen wesentlicher Bildungsinhalte. Es gilt Abschied zu nehmen vom Bild einer Schule, welche sämtliche Bildungswünsche der Gesellschaft erfüllen soll und damit hoffnungslos überfordert ist.
Wo unerfahrene Lehrpersonen den neuen Lehrplan eins zu eins umsetzen wollen und individualisierendes Lernen mit massgeschneiderten Bildungszielen für jedes Kind anstreben, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Lehrpersonen ohne gesunden Widerstandsgeist gegenüber unrealistischen Forderungen geraten bald einmal in Erklärungsnot und fühlen sich als Versager. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt, bis mutlos gewordene Lehrpersonen zur Zielscheibe von enttäuschten Eltern werden. Für diese unheilvolle Entwicklung ist die Bildungspolitik der letzten Jahre eindeutig mitverantwortlich.
Die Auseinandersetzung um die Kleinklassen spitzt sich zu
Aufgeheizt durch den Zürcher Wahlkampf sind in den Tageszeitungen zurzeit einige Berichte und über ein Dutzend Leserbriefe zum Thema schulische Integration zu finden. Dabei zeigt sich, dass die dogmatisch kämpfenden Anhänger der strikten Integration einen schweren Stand haben. Die Schulpraktiker, die vehement die Wiedereinführung von Kleinklassen fordern, haben eindeutig Oberwasser. Sehr aufschlussreiche Gedanken finden sich auch im Interview aus dem Tages-Anzeiger mit einem Befürworter und einem Gegner des Integrationsmodells. Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen ideologisch geprägten Idealvorstellungen und einem in der Schulrealität verankerten Pragmatismus mit aller Deutlichkeit. Wir haben für Sie eine grössere Auswahl von Meinungsäusserungen zusammengestellt und hoffen, dass Sie die spannende Lektüre geniessen werden.
Für die Redaktion
Hanspeter Amstutz