Deutsch-Debakel und Förderklassen – das System als Ganzes neu ordnen!
Zum neuen Jahr wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern alles Gute und freuen uns, mit Ihnen zusammen den Einsatz für eine kindgemässe Volksschule mit neuem Schwung weiterzuführen.
Zwei Dauerbrenner beherrschen am Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahres die Debatte um die Volksschule: Die beträchtlichen Defizite vieler Schulabgänger in der deutschen Sprache und die seit Jahren offene Baustelle der Integrationsklassen. Es würde sich empfehlen, 2023 nicht mit der bekannten Pflästerlipolitik weiterzuwursteln, sondern die Ärgernisse grundsätzlich anzupacken, zum Wohl unserer Jugend und unserer Gesellschaft.
Mit «selbstorganisiertem Lernen» und dem Konsum von Kompetenzhäppchen lernt man keine Sprache
Mit seinem Plädoyer für einen Deutschunterricht, der diesen Namen verdient, engagiert sich Carl Bossard auch in seinem neuesten Artikel, wie er es seit langem unermüdlich tut. Sprechen und Schreiben müssten wie jedes Handwerk gelernt werden, aber dafür fehle in der heutigen Schule mit ihrer Aufgabenfülle die Zeit, so der Pädagoge. Zu ergänzen ist, dass die von ihm lebendig beschriebene Erarbeitung der deutschen Sprache in einem strukturierten Aufbau und das intensive Üben nicht ins Konzept des Lehrplan 21 passen. Mit selbstorganisiertem Lernen SOL, mit dem Abarbeiten von digitalen Einsetz- und Ankreuz-Übungen und mit dem Konsum von Kompetenzhäppchen lernt man nun einmal keine Sprache.
In den Medien wird immer einmal wieder daran erinnert, dass es schon früher Menschen gab, die in der Schule durch die Maschen des Deutschunterrichts gefallen sind. Das stimmt zwar leider. Aber damit kann man nicht von der knallharten Tatsache ablenken, dass heute ein stark steigender Anteil junger Leute in den Berufslehren, aber auch an unseren Mittel- und sogar Hochschulen die deutsche Sprache nicht genügend beherrscht. Dies ist eine Folge des jahrelangen bewussten Abbaus des Deutschunterrichts an unserer Volksschule durch sogenannte «Bildungs-Experten». Die heterogenen Integrationsklassen sind übrigens Teil des Deutsch-Desasters. Wie Carl Bossard festhält, braucht es nämlich für das Erlernen der grundlegenden Kulturtechniken Zeit und Musse sowie einen von der Lehrerin geleiteten Unterricht. Daran fehlt es bekanntlich im heutigen fehlgeleiteten System.
Regelklassen mit Klein- und Förderklassen ergänzen: Lieber «liefere statt lafere»
Dass Integration und Inklusion, so wie sie heute gehandhabt werden, niemandem etwas bringen ausser der Bildungsbürokratie, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die negativen Folgen wurden in unserem Newsletter schon öfter thematisiert. Mit einiger Verzögerung werden nun in mehreren Kantonen wieder Kleinklassen gefordert: Im Kanton Zürich laut einer Umfrage, im Kanton Bern gemäss einem Beschluss des Grossen Rats, im Kanton Basel-Stadt mit einer Volksinitiative der «Freiwilligen Schulsynode» für die Einführung von Förderklassen. Ausgerechnet der LCH, der sich eigentlich mit den Sorgen der Lehrerschaft befassen und sich für schüler- und lehrergerechte Lösungen in der Volksschule einsetzen sollte, schiebt die Angelegenheit hinaus, statt auf die berechtigten Anliegen verschiedener Mitglieder – zum Beispiel aus Baselland und dem Thurgau – adäquat einzugehen.
Derweil hat unser Vereinspräsident Timotheus Bruderer mit seiner Fraktion im Wetziker Parlament einen – vorläufig – vergeblichen Versuch unternommen, wieder eine dreiteilige Oberstufe einzuführen, damit alle Jugendlichen in dieser wichtigen Lebensphase möglichst gut gefördert werden können. Die Begründung der Ablehnung durch den Stadtrat ist mehr als schwach: Er gibt zu, dass die Schule mit dem heutigen Modell «an der Sekundarstufe sowie der Primarschule an ihre Grenzen» stösst, will aber, wie die Parlamentsmehrheit, von der Sek C nichts wissen, sondern «die Unterrichtsorganisation grundsätzlich überdenken, um künftig besser mit der Heterogenität umgehen zu können» («Sekundarstufe C löst Problem nicht»). Eine «schöne Bescherung», schreibt Timotheus Bruderer in seinem Leserbrief zu dieser inhaltsleeren Phrase. Den Lehrerverbänden und Exekutiven ist dringend zu raten: Lieber «liefere statt lafere»!
Der engagierte junge Politiker und Familienvater Timotheus Bruderer kandidiert in den Kantonsratswahlen vom 12. Februar für die SVP im Wahlkreis Hinwil – eine schlaue Wahl für Bürgerinnen und Bürger, die sich für eine gute Volksschule einsetzen.
Was bedeutet «Menschenrecht auf diskriminierungsfreie Bildung»
Die Zürcher Umfrageteilnehmer (und die Baselstädter Initianten und viele andere Schweizer), die wieder Kleinklassen fordern, würden an sämtlichen Rechtsgrundlagen kratzen, die «eine möglichst weitgehende Eingliederung aller Menschen in die Gesellschaft vorsehen», so die NZZ: An der integrativen Förderung gemäss Zürcher Volksschulgesetz, am «Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen» und an der Uno-Behindertenkonvention.
Diese Mär hält sich in Medien und Schulreformerkreisen hartnäckig. In Wirklichkeit werden die Nachteile von Kindern mit Behinderungen nicht behoben, indem sie in Regelklassen eingeteilt werden, im Gegenteil. Hier erleben sie täglich, stündlich, dass sie nicht mitkommen. Und die Mitschüler erleben es mit: Das ist diskriminierend. Das Recht auf Bildung für ein Kind mit einer Behinderung besteht nicht darin, im selben Schulzimmer wie die anderen zu sitzen, sondern etwas zu lernen. So viel zu lernen, wie immer es möglich ist, bei einem Lehrer, der die notwendige Fähigkeit und Ausbildung sowie genug Zeit für die Vermittlung des Lernstoffes hat. Dieses Recht haben übrigens auch alle anderen Kinder: Es ist besser zu verwirklichen, wenn die Lehrer nicht ständig ans Limit kommen unter der steigenden Last der Anforderungen, die mit den Integrationsklassen verbunden ist.
Der baselstädtische Bildungsdirektor demonstriert mit seiner Behauptung, indem man «Kinder in Sonderklassen stecke, würden sie stigmatisiert, man verbaue ihnen ihre Zukunft», dass er wenig Ahnung davon hat, wie ein Kind lernt und sich entwickelt. Ebenso wenig Ahnung hat die Zürcher Bildungsdirektorin, welche den integrativen Unterricht plakativ als «Menschenrecht» bezeichnet, aber verhaltensauffällige Kinder in «Schulinseln» stecken, das heisst ausgrenzen will.
Lassen wir demgegenüber lieber Fachleute zu Wort kommen. Zum Beispiel die Lehrerin und Heilpädagogin Marianne Schwegler aus dem Basler Komitee der Förderklassen-Initiative: «Ein Kind, das Mühe mit Lernen oder Verhalten hat, hat später eher eine Chance auf einen Ausbildungsplatz, wenn es in einer kleinen Gruppe intensiv trainieren kann und lernt, sich sozial zurechtzufinden.» Oder den langjährigen Zürcher Lehrer Hans-Peter Köhli, der schreibt, Sylvia Steiner lege den Begriff «Menschenrecht» falsch aus: «Es genügt doch vollauf, wenn die Integration darin besteht, die Kinder in normalen Schulhäusern zu unterrichten, auch wenn das dort spezielle Klassen sind. Dann gibt es den gleichen Schulweg und den gleichen Pausenplatz wie bei den andern, und die Teilnahme an gemeinsamen Anlässen aller Klassen ist selbstverständlich.» Dem ist nichts hinzuzufügen.
Konzept Förderklassen – Hier schliesst sich der Kreis
Ganz ähnlich schlägt der Zürcher Kantonsrat Marc Bourgeois «sogenannte Förderklassen» vor, «angelehnt an die früheren Kleinklassen». So könnten Kinder so lange wie nötig «gezielt unterstützt werden, ohne dass sie ihre Schule verlassen müssten». Ganz zentral aber muss sein: Wie immer wir auch diese Klassen nennen wollen – nie darf das Ziel aus dem Auge verloren werden, die Schüler früher oder später wieder in die Regelklasse zurückzuführen. Die frühere Sonderklasse A, wo unter kundiger Anleitung der Stoff der ersten Klasse in zwei Jahren erarbeitet wurde, war ein Segen. Fast alle Kinder konnten anschliessend in die zweite Regelklasse übertreten. Eine echte Förderklasse!
Aber: In welche Regelklasse kämen solche gut geförderten Kinder heute zurück? Wir sind aufgerufen, dafür zu sorgen, dass auch in den Regelklassen ein geführter Unterricht möglich ist – sonst könnten die wiedereingegliederten Schüler den Boden unter den Füssen rasch wieder verlieren. Hier schliesst sich der Kreis.
Eine spannende Lektüre erwartet Sie.
Für die Redaktion: Marianne Wüthrich