Die richtigen Lehren aus den Reformdebakeln zu ziehen wird harte Arbeit für die Bildungspolitik
Nach der Volksschule und der KV-Ausbildung hat die Reformwelle nun auch die Gymnasien erfasst. Kaum bestritten ist, dass im Bereich der MINT-Fächer ein Reformbedarf besteht. Informatik und Naturwissenschaften haben unser Leben in mancherlei Hinsicht grundlegend verändert. Damit müssen sich auch die Gymnasien auseinandersetzen, wenn sie sich nicht dem Vorwurf der Rückständigkeit aussetzen wollen. Das Unerfreuliche dabei ist nur, dass die stets nach neuen Projekten suchenden Abteilungen der Bildungsforschung einmal mehr übers Ziel hinausgeschossen haben.
Beim Harmos-Projekt der Volksschule haben die Planungsstäbe aufgrund eines einfachen Harmonisierungsauftrags ungefragt einen hoch komplexen Lehrplan mit einer Unmenge an detaillierten Kompetenzzielen geschaffen. Dass dieser Lehrplan in der Schulpraxis seine Funktion als Bildungskompass in keiner Weise erfüllt, scheint die eifrigen Reformer wenig zu kümmern. Bei der forcierten KV-Reform hat man gleich den ganzen Fächerkatalog aufgelöst und neue didaktische Dogmen verkündet. Damit wurde die KV-Lehrerschaft vor den Kopf gestossen und ein Absturz der beliebtesten Berufslehre wird in Kauf genommen.
Totalumbau statt sanfter Revision bei den Lehrplänen der Gymnasien?
Soll nun die Reform des Gymnasiums nach dem gleichen schrägen Muster ablaufen? Die bisherigen Diskussionen an den Mittelschulen lassen hoffen, dass einiger Widerstand von Seiten der betroffenen Lehrerschaft zu erwarten ist. Die Schweizer Gymnasien stehen bezüglich Schulqualität im Vergleich zu den umliegenden Ländern sehr gut da. Unsere Gymnasien stehen im Ruf, ihren Lehrpersonen viel Freiheit bei gleichzeitigem klarem Bildungsauftrag zuzugestehen. Es sind wesentliche Bildungsinhalte, welche die Bildungsprogramme unserer Mittelschulen verbindlich prägen und den Universitäten Gewähr für eine ausreichende Hochschulreife des akademischen Nachwuchses bieten.
Der vorliegende Lehrplanentwurf für die Mittelschulen gleicht weit mehr einem Totalumbau als einer praxisbezogenen sanften Lehrplanrevision. Kernpunkt der grossen Reform neben der Neugewichtung der Fächer ist die Ausrichtung des Lehrplans auf ein engmaschiges Kompetenzmodell. Eigentlich müssten aus den Erfahrungen mit dem überladenen kompetenzbasierten Lehrplan der Volksschule in den Planungsabteilungen die Alarmglocken läuten. Doch nichts dergleichen geschieht.
Bildungskultur entsteht aus wesentlichen Bildungsinhalten
Carl Bossard deckt in seiner fundierten Kritik am Umbau des Gymnasiums auf, was mit einem Wechsel von leitenden Bildungsinhalten zu einem System mit Hunderten von einzeln überprüfbaren Kompetenzzielen zu befürchten ist. Das Gymnasium würde seine freiheitliche Bildungskultur, die sich im Grossen und Ganzen bewährt hat, weitgehend verlieren. Reformen machen Sinn, wenn sie einen pädagogischen Mehrwert bringen und die Kostenfrage nicht ausser Acht gelassen wird. Doch beides trifft auf den aktuellen Lehrplanentwurf für unsere Mittelschulen nicht zu. Will die Bildungspolitik nicht den nächsten kapitalen Fehler machen, muss der Reformprozess mit einem uneingeschränkten Mitspracherecht der Lehrerschaft neu aufgegleist werden.
Haarsträubende Fehler bei der Einführung der frühen Fremdsprachen
Alles andere als ein Meisterwerk war auch die Einführung von zwei Fremdsprachen in der Primarschule. Schon der mutlose Kompromiss, dass beim Harmos-Projekt ausgerechnet bei den Fremdsprachen unterschiedliche Einstiegsszenarien erlaubt waren, machte die angestrebte Bildungsharmonisierung von Anfang an zur Farce. Condorcet-Autor Alain Pichard fasst in seinem Beitrag nochmals zusammen, was vor allem in der Nordwestschweiz im Frühfranzösisch alles schiefgelaufen ist. Es ist schon fast unglaublich, mit was für ungeeigneten Lehrmitteln und dogmatischen Vorgaben sich die Lehrpersonen herumschlagen mussten. Die ernüchternde Bilanz bei den offiziellen Erhebungen zu den Französischkenntnissen am Ende der Primarschule überrascht deshalb in keiner Weise.
Bemerkenswert ist, dass in der neusten Umfrage der Starken Schule beider Basel die Unzufriedenheit der Basler Lehrerschaft mit den Bedingungen des frühen Fremdsprachenunterrichts deutlich zum Ausdruck kommt. Offensichtlich sind zwei frühe Fremdsprachen für die meisten Kinder einfach eine Überforderung. Doch sehen Sie selbst, wie die Lehrpersonen die aktuelle Situation beurteilen und welche Lösungen sie vorschlagen.
Als Mitglied der kantonsrätlichen Bildungskommision habe ich die Diskussionen rund um die Einführung des Frühenglisch ab der zweiten Klasse unmittelbar erlebt. Wahrscheinlich ist wenig bekannt, dass Bildungsdirektor Ernst Buschor eigentlich nur das Frühfranzösisch durch das Frühenglisch ersetzen wollte und kein Dreisprachenkonzept (Deutsch, Englisch, Französisch) für die Primarschule vorsah. Warum es anders herausgekommen ist, können Sie in meinem Beitrag über das belastende Dreisprachenkonzept nachlesen.
Die Anliegen aus der Schulpraxis werden stärker wahrgenommen
Seit ein paar Wochen mehren sich hoffnungsvolle Anzeichen, dass Bildungspolitiker verschiedener Parteien genug von den Schönfärbereien der Bildungsdirektionen haben. So ist im Zürcher Kantonsrat eine Motion zur besseren Unterstützung der Klassenlehrkräfte parteiübergreifend eingereicht worden. Dieser Vorstoss kommt allerdings indirekt einem Eingeständnis gleich, dass die während Jahren erlaubte Aufsplitterung der Lehrerpensen den Schulbetrieb erheblich belastet hat. Obwohl es allmählich dämmert, dass die Bildungspolitik falsche Wege eingeschlagen hat, kann aber noch nicht von einer entschlossenen Kurskorrektur gesprochen werden. Deshalb fällt schon auf, wenn Kantonsrat Marc Bourgeois in einem Interview im Nebelspalter kein Blatt vor den Mund nimmt und scharfe Kritik an der bisherigen Bildungspolitik übt.
Der FDP-Kantonsrat stellt fest, dass in vielen Bildungsbereichen die hoch gesteckten Ziele bei Weitem nicht erreicht wurden. Als einzige Antwort auf den Misserfolg sei der Politik bisher nur die ständige Erhöhung der finanziellen Mittel eingefallen. Dabei müsste man jetzt endlich einmal genauer hinschauen, weshalb trotz zusätzlichem Lehr- und Betreuungspersonal mehr Unruhe in den Klassen anzutreffen sei. Der Bildungspolitiker sieht unter anderem dringenden Handlungsbedarf bei der Wiedereinführung von Kleinklassen und beim überladenen Fremdsprachenkonzept der Primarschule.
Mehr Erfolg im Verbund mit unseren Partnerorganisationen
In diesem-Newsletter haben wir gezielt Beiträge gesammelt, in denen Bilanz über die Schulentwicklung gezogen wird. Zurzeit ist in den Schulen vieles im Fluss, weil neue Wege gefunden werden müssen, um aus der Krise herauszukommen. Erfreulicherweise stehen wir mit unserer unbequemen Aufklärungsarbeit nicht allein. Unsere Partnerorganisationen Starke Schule St. Gallen, Starke Schule beider Basel, der viel beachtete Condorcet-Blog sowie neuerdings auch einige kantonale Lehrerorganisationen schlagen sehr kämpferische Töne an. Das ist unserer Meinung nach genau das Richtige, um jetzt gehört zu werden.
Für die Starke Volksschule Zürich
Hanspeter Amstutz