Heftige Diskussionen über den hausgemachten Lehrermangel
Noch nie ist in unserem Newsletter fast die ganze Ausgabe einem einzigen Thema gewidmet worden. Doch der dramatische Lehrermangel dominiert die Berichterstattung in der Tagespresse und spiegelt sich nun in unserer Textzusammenstellung. Die einzige Ausnahme finden Sie am Schluss unseres Newsletters mit dem Bericht eines ehemaligen KV-Absolventen über die Umgestaltung der kaufmännischen Berufslehre. Es ist jedoch gut möglich, dass als Folge der umstrittenen Reform viele Lehrpersonen ihre Stelle kündigen werden und auch das Erfolgsmodell KV in eine Krise gerät.
Einsatz von unterrichtenden Laien als verzweifelte Notlösung
Auffallend ist, wie hilflos die Bildungsdirektionen zurzeit auf den Lehrermangel reagieren. Nachdem während Jahren der sich stetig verschärfende Lehrermangel kleingeredet wurde, kam letzten Monat das Eingeständnis, dass auch mit Ausschöpfung aller Reserven nicht mehr alle Lehrerstellen besetzt werden könnten. Um wenigstens eine Art Hütedienst in Klassen ohne ausgebildete Lehrperson sicherzustellen, erlaubt die Zürcher Bildungsdirektion die Anstellung von Personen ohne pädagogisches Diplom. Zwar versucht die Bildungsdirektion den Kreis der unterrichtsberechtigten Laien mit Vorgaben einzuschränken, doch an der damit verbundenen Abwertung des Lehrerberufs ändert dies wenig.
Unsere Texte im ersten Themenblock zeigen, wie die Ankündigung des Laieneinsatzes in den Redaktionen kommentiert und in der Schulpraxis aufgenommen wurde. Der Schock über die Massnahme ist deutlich zu spüren. Der Zürcher Lehrerverband reagierte mit einem offenen Protestbrief an die mitverantwortliche Bildungskommission des Zürcher Kantonsrats und spricht von einem krassen Versagen der Bildungsdirektion bei der Bewältigung des Lehrermangels.
Abrechnung mit der aktuellen Bildungspolitik auf den Forumsseiten
Die Leserbriefbeiträge auf die Ankündigung, dass Laien Klassen führen können, sind teils happig ausgefallen. Diesmal kommt die Kritik nicht nur von Lehrerseite, sondern auch von Schulleitungen und besorgten Eltern. Man wirft der Zürcher Bildungsdirektion vor, nicht vorausschauend gehandelt und alle Warnungen über Belastungsfaktoren im Lehrerberuf in den Wind geschlagen zu haben. Die Leserbriefschreiber lassen sich nicht abspeisen mit der Feststellung, dass die stark gestiegenen Schülerzahlen viel zum Lehrermangel beigetragen haben. Man fragt sich, weshalb denn so viele Lehrpersonen der Schule den Rücken zugekehrt haben. Schonungslos werden die pädagogisch Dauerbaustellen beim Namen genannt und die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre kritisiert. Wir haben aus dem bunten Strauss der Leserbeiträge die markantesten ausgewählt, die oft mehr als aussagen als langatmige Analysen.
Der verantwortungsvolle Lehrerberuf benötigt wieder mehr Freiheiten
Wer das Thema des Lehrermangels mit einer gewissen Systematik angehen möchte, kommt im leicht lesbaren Beitrag von Carl Bossard voll auf seine Rechnung. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass die kleinkarierten Vorgaben des Lehrplans für die meisten Lehrpersonen als einschränkend empfunden werden und die Freude am Beruf geschmälert haben. Carl Bossards Text ist ein Aufruf für mehr Freiheit im Lehrerberuf und mehr Vertrauen in die pädagogische Arbeit engagierter Lehrkräfte.
Letztlich geht es darum, den erfüllenden Lehrerberuf nicht so zu beschädigen, dass Lehrpersonen zu Ausführenden von Bildungsprogrammen degradiert werden. Wie schön der Lehrerberuf sein kann, zeigt der Bericht einer Quereinsteigerin in der Sekundarschule. Die ehemalige Journalistin Gabi Schwegler zeichnet ein spannendes Bild, wie sie den Schulalltag meistert und durch ermutigende Rückmeldungen ihrer Schüler in ihrer Aufgabe bestärkt wird. Die Autorin beeindruckt durch ihren Mut, ihren eigenen Weg zu gehen und sich immer wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren. Sie scheut sich auch nicht, Fehlentwicklungen zu kritisieren und sich von übertriebenen Anforderungen im Lehrerberuf abzugrenzen.
Auswirkungen des Lehrermangels auf die Schulqualität
Die Diskrepanz zwischen pädagogischen Idealen und der Schulrealität kommt zurzeit mancherorts offen zu Sprache. In Aarau widmete sich ein hochkarätig besetztes Podium den «Leiden und Freuden im Lehrerberuf». Was die vier Teilnehmenden zur gegenwärtigen Situation in der Schule zu sagen hatten, lässt einen nicht unberührt. Der Lehrerberuf wird als sehr anspruchsvoll beschrieben, wenn man den anvertrauten jungen Menschen einigermassen gerecht werden will. Für die Teilnehmenden bedeutet deshalb der Einsatz von unausgebildeten Personen im Schuldienst ein massiver Abbau an Schulqualität. Unsere Zusammenfassung der Veranstaltung zeigt, dass die Schulpraktiker über die aktuelle Situation in den Schulen und über die Mängel in der Lehrerbildung äusserst besorgt sind.
Fazit: Der hausgemachte Lehrermangel kann überwunden werden
Der Widerspruch zwischen der grossen Beliebtheit der pädagogischen Tätigkeit und dem zunehmenden Rückzug aus dem Lehrerberuf verlangt nach einer vertieften Abklärung. Wer bei erfahreneren Lehrpersonen nachfragt, bekommt eine Reihe von Gründen zu hören, die nichts mit billigem Jammern zu tun haben. Es geht um die Rahmenbedingungen des Lehrerberufs, die sich klar verschlechtert haben. Die dogmatisch gepushte Totalintegration verhaltensauffälliger Schüler ist gescheitert, der überladene Lehrplan erfüllt seine Aufgabe als verlässlicher Bildungskompass in keiner Weise und die Bilanz des aufwändigen Frühfremdsprachenunterrichts ist ernüchternd. Die einengende Vorstellung vom Lehrer als Lernbegleiter schreckt zudem viele ab, die im Lehrerberuf eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe mit grosser Gestaltungfreiheit gesehen haben.
Der Lehrermangel ist zu einem grossen Teil hausgemacht. Deshalb kann er auch wieder behoben werden, sofern in der Politik der Wille zur ehrlichen Analyse und Mut zu deutlichen Kurskorrekturen vorhanden ist. Von Seiten der Lehrerschaft ist zu hoffen, dass sie bei diesem Prozess mit mehr Selbstbewusstsein als in den letzten Jahren auftritt.
Wir hoffen, Ihnen mit dieser Textzusammenstellung ein umfassendes Bild über die aktuelle Situation an unseren Schulen vermitteln zu können. Nach all den vielen Aufregungen im Bildungsbereich haben wir in der Redaktion beschlossen, eine etwas längere Sommerpause einzulegen. Unser nächster Newsletter erscheint deshalb erst Mitte August. Wir wünschen Ihnen schöne und erholsame Ferien.
Für die Redaktion Starke Volksschule Zürich
Hanspeter Amstutz