"Goldene Hände" haben die Schweiz gross gemacht
Diesmal beginnt unser Newsletter mit zwei Texten zum Thema Berufsbildung. Sie zeigen auf ganz verschiedene Art auf, was Jugendliche für eine erfolgreiche Bewältigung ihrer Lehre mitbringen sollten und was sie daraus für ihr Leben – nicht nur fürs Berufsleben! – mitnehmen können.
Vom Sinn und Wert einer Berufslehre
Der lebendige Bericht von Peter Aebersold von seiner KV-Lehre in den 1960er Jahren hat mich öfter zum Schmunzeln gebracht, aber ich denke nicht, dass der Autor nur einen nostalgischen Blick zurück im Sinn hatte. Beim Lesen ist mir einiges durch den Kopf gegangen, zum Beispiel: Was die Jugendlichen damals alles bewältigen mussten und was sie in den drei Lehrjahren alles gelernt haben, ist beeindruckend. Und dann: In meiner Zeit als Berufsschullehrerin einige Jahrzehnte später war dies grundsätzlich nicht anders, ausser dass die Lerninhalte «dank» dem Eifer unserer Schulreformer sukzessive reduziert wurden. Aber wer bis zur erfolgreichen Lehrabschlussprüfung kommen will, muss sich auch heute noch immer wieder «durebiisse». Stenografieren und vieles andere müssen sie allerdings nicht mehr lernen – was für eine enorme Entwicklung der Technologie ist seit damals über die Welt gebraust!
Vom Menschlichen her, was es an inneren Werten, an Kenntnissen und praktischen Fähigkeiten braucht, um eine Lehre zu meistern, und wie die jungen Menschen in dieser wichtigen Entwicklungsstufe vom Jugendlichen zum Erwachsenen reifen können, hat sich seit der Lehrzeit von Peter Aebersold jedoch nichts Grundsätzliches geändert. Dies bestätigen die Betrachtungen von Eliane Perret zu den «Goldenen Händen» und ihre Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen der Pädagogin Margrit Stamm. Wenn es gelingt, dass ein junger Mensch im Zusammenspiel mit seinen Ausbildnern im Betrieb und in der Schule den Mut und den Willen entwickelt, beruflich und menschlich voranzukommen, dann können vermeintliche Leistungsgrenzen aus seiner Schulzeit allmählich verblassen. «'Goldene Hände' haben die Schweiz gross gemacht», da sind sich Margrit Stamm und Eliane Perret einig.
Dass die Berufslehre mehr Anerkennung verdient, dieser Meinung sind auch die vier Verfasser der hier wiedergegebenen Leserbriefe, die einige weitere Facetten zum Thema einbringen («Nur zusammen kommt man zum Erfolg»).
Das negative Gegenbeispiel von den «Phil-I-ner» Studenten, die oft nicht das aus ihrem Studium und ihrem Leben machen, was möglich wäre, liefert die Wirtschaftshistorikerin Andrea Franc im Interview («Die Studenten vergeuden ihre Zeit»). Ihre Schilderung der Trägheit von Studenten der Geisteswissenschaften ist natürlich überzeichnet und trifft selbstverständlich auch nicht für alle zu. Aber ein bisschen hat es schon etwas – denken wir nur an die wuchernden Verwaltungsblasen in Bund, Kantonen und Städten mit vielen, vielen Teilzeitstellen. Dem vermag auch die «Gegenrede» von Martin Hartmann in der NZZ vom 1. Juni nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Als Lehrling käme man jedenfalls in diesem Stil kaum über die Runden…
Woran unsere Volksschule krankt und mögliche Wege zur Besserung
Damit verlassen wir die Sekundarstufe II und die Tertiärstufe und wenden uns der Volksschule zu. Dazu können wir Ihnen eine ganze Palette von Themen anbieten.
Zunächst das spannende Beispiel einer Homeschooling-Familie: Was die sechsjährige Ronja alles lernt, wie die Eltern – vor allem die Mutter – Schule und Alltag, Buchstaben kennenlernen und Teigkneten, Gartenarbeit und Geschichten erzählen unter einen Hut bringen. Und wie das Kind auch im sozialen Bereich seine Erfahrungen machen kann. – Dieses und andere gelungene Einzelbeispiele können jedoch nicht von der im Artikel erwähnten Tatsache ablenken, dass zum Beispiel im Kanton Aargau heute zehnmal mehr Kinder zu Hause unterrichtet werden als vor zehn Jahren, weil an der Volksschule oft nicht mehr eine ebenso gute Bildung gewährleistet wird wie früher.
Gegen eine negative Beurteilung der Inklusion setzt sich hingegen die Heilpädagogin Clarita Kunz zur Wehr und verweist auf Erfolge von Montessori-Schulen oder anderen privaten Modellen, von denen die öffentliche Volksschule ihrer Meinung nach einiges abschauen könnte. Allerdings geht die Autorin darüber hinweg, dass es auch viel wohlbegründete Kritik an der Inklusion gibt. Vor allem aber bedeutet der Unterricht in einer Kleinklasse keine «Ausgrenzung», wie sie behauptet, sondern kann für manches Kind eine Chance sein, mit der Lehrerin zusammen seinen Weg ins Leben zu finden.
Zum Dauerbrenner «Tagesschulen» in der Stadt Zürich liegen nach langem Seilziehen zwischen dem Stadt- und dem Gemeinderat nun zwei Varianten auf dem Tisch, über die die Stimmberechtigten im September entscheiden werden.
Zum Abschluss des Newsletters wird ein weiteres Mal der überall um sich greifende Lehrermangel thematisiert. Dass wir uns als Verein für eine Starke Volksschule damit befassen, ist dringend notwendig. Solange uns die Lehrer davonlaufen – oft gerade die guten! – müssen wir Bürgerinnen und Bürger uns darüber Gedanken machen, was mit unserer Schule nicht stimmt. Denn die meisten heutigen und ehemaligen Lehrerinnen sind sich einig: Es gibt keinen schöneren Beruf!
Lesen Sie dazu den Aufruf der engagierten Politikerin Lisa Leisi: «Lehrermangel ist Chance für Korrekturen». Mit Recht fordert sie dazu auf, dieses Übel nicht nur zu beklagen, sondern etwas dagegen zu tun. Lesen Sie selbst, wo sie die Ursachen und Möglichkeiten zu deren Bekämpfung sieht.
Eine weitere Gelegenheit aktiv zu werden, ist die Petition «Wieder ein dreiteiliges Schulmodell für die Sek Wetzikon», auf die wir noch einmal hinweisen. Unser Vereinspräsident Timotheus Bruderer hat sie mit anderen aktiven Gemeinderätinnen und Lehrern zusammen organisiert. Hier finden Sie den Unterschriftenbogen.
In diesem Sinne lädt unsere Redaktion Sie zum Lesen und zum Mitgestalten ein.
Marianne Wüthrich