Die Dauerbrenner – vom Lehrermangel bis zum Computerspiel
Zu allererst freuen wir uns, Sie zur nächsten Veranstaltung der "Starken Volksschule Zürich" am 18. Mai in Wetzikon einzuladen (Genaueres siehe unter "Veranstaltungshinweise").
Lehrermangel – zum Kern des Problems
Unsere Sammlung beginnt mit dem allgegenwärtigen Thema Lehrermangel. Carl Bossard hält sich nicht mit absurden Ideen auf (z.B. Erhöhung der Pensen, um Lehrerstellen zu sparen!), sondern geht direkt zum Kern des Problems. Jeder aufmerksame Zeitgenosse hat dessen tatsächliche Ursache längst mitbekommen, nämlich die radikale Umkehr unseres Bildungssystems, das vom eigentlichen Lehrerberuf wegführt und deshalb weder den Lehrern noch den Kindern gerecht wird. «Meine pädagogische Arbeit besteht doch nicht im emsigen Katalogisieren von Einzel-Kompetenzen», zitiert der Autor einen Junglehrer, denn dazu sei er nicht Lehrer geworden. Statt weiter über den Lehrermangel zu lamentieren, müssten unsere Bildungsbehörden und PHs hier ansetzen. Andernfalls laufen ihnen noch mehr gute Lehrerinnen davon, und die Bildung unserer Jugend wird weiterhin immer schmaler.
Maturaquote und Qualität der Volksschule
Die Aufstockung der Schweizer Maturaquote ist ebenfalls kein neues Anliegen. Die These vom «Wandel der Arbeitswelt» ist in der Berufsbildung seit jeher bekannt. Weil das duale Bildungssystem ausserordentlich flexibel ist, können Bedürfnisse der Wirtschaft laufend und möglichst schülergerecht umgesetzt werden. Ein Gymi-Lehrer, der glaubt, in einer vierjährigen Berufslehre werde den jungen Leuten lediglich «ein Computerkürsli» vorgesetzt, sollte vielleicht einmal ein Praktikum in einem Lehrbetrieb machen. Wer mehr Bildung für alle anstrebt, tut besser daran, bei der Volksschule anzusetzen statt beim Gymi. Ohne dass die Kinder dort genügend lesen, schreiben und rechnen lernen, müssen die Berufsschulen – zum Teil auch bereits die Gymnasien – nämlich zuerst Nachhilfe-Kurse für die neueintretenden Jugendlichen anbieten.
Um Nachhilfe geht es im anschliessenden Artikel. Lesen Sie selbst die Gründe pro und kontra: Beide Argumentationen haben etwas für sich, und sicher muss beim einzelnen Kind überlegt werden, ob ausserschulische Unterstützung sinnvoll ist oder nicht. Wenn aber immer mehr Kinder Nachhilfe benötigen, dann ist bei den Mängeln des Schulsystems anzusetzen. In diesem Sinne Prof. Elsbeth Stern: «Das Ausmass an Nachhilfe ist ein negativer Indikator für die Schul- und Unterrichtsqualität eines Landes.»
Zu viel und zu wenig Zuwendung – beides kann schaden
Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm weist einmal mehr auf die Schädlichkeit einer Erziehung hin, die das Kind zu stark ins Zentrum stellt und seinen Wünschen alles andere unterordnet («Unsere Kinder, die kleinen Könige»). Sicher haben Sie auch schon den Kopf geschüttelt, wenn ein Vater sein drei- oder vierjähriges Töchterchen im Zug gefragt hat, wo es sitzen möchte, und es zuletzt ein Geschrei gab, weil es unbedingt auf einem vorreservierten Platz sitzen wollte. Oder wenn ein Elternpaar sich durch den Nachwuchs alle paar Augenblicke vom gemeinsamen Gespräch miteinander oder mit anderen Erwachsenen abbringen lässt.
Trotzdem ist im Kommentar des kritischen Lesers – wenn man von seinem zu groben Ton absieht – ein Körnchen Wahrheit enthalten: Es ist nicht ein Zuviel an Zuwendung und Liebe, an dem viele Kinder kranken, sondern eine nicht feinfühlig auf das Kind und die jeweilige Situation zugeschnittene Aufmerksamkeit – auf der einen Seite. Andererseits, ist zu ergänzen, fehlt heute oft das erwachsene Gegenüber, dort wo es unbedingt notwendig wäre, zum Beispiel wenn ein Kind ein anderes plagt oder wenn es stundenlang mit seinem Handy alleingelassen wird, ohne dass die Eltern sich darum kümmern, was es konsumiert und mit wem es Umgang hat.
Noch mehr Genderdebatte – oder einfach ein natürlicher Umgang mit den Mädchen und Buben?
In der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen werden erfreulicherweise Zweifel laut, ob wir die Kinder und Jugendlichen so penetrant mit der Genderfrage konfrontieren sollen, wie es heute Mode ist. Wenn man den Bericht im Tages-Anzeiger liest, landeten die Teilnehmer der vor kurzem durchgeführten Fachtagung bei der uralten Frage, die schon in meiner Jugend en vogue war (und das ist schon eine Weile her): In unserer Gesellschaft gälten Geschlechterstereotypen, die zu Ungleichheit führten und überwunden werden müssten. Deshalb müsse dem «Gendermarketing» schon in der Kita mit «offenen Angeboten» Gegensteuer gegeben werden. Im Klartext: Fertig mit Puppenecke und Werkstatt im Chindsgi, damit sich jedes Kind «nach seinen Vorstellungen entfalten» könne.
Warum so kompliziert? Viel natürlicher wäre es, die Puppenecke und die Werkstatt stehen zu lassen – die Kinder werden schon dort mitmachen, wo sie möchten. Das hängt auch davon ab, wo ihre Freundinnen oder Freunde Lust haben mitzuspielen. Dass sich dabei Buben und Mädchen das eine Mal zusammentun und ein andermal nicht, ergibt sich meistens ganz unverkrampft. Die Erwachsenen müssen sich vor allem dann einschalten, wenn Gewalt im Spiel ist. Dass ein kleines Kind sich jedoch «nach seinen Vorstellungen entfalten» wolle, ist eher etwas hochgegriffen, oder nicht?
Den älteren Jugendlichen schwirrt vermutlich längst der Kopf vor lauter Gendersternen und Trans-Identitäten. Jedenfalls kommt die Autorin des Artikels zum hoffnungsvollen Schluss, vielleicht müssten die Geschlechter doch nicht abgeschafft werden, sondern es brauche «einfach mehr Raum für Variationen». Von diesem Raum gibt es meist mehr als genug, vor allem in digitalen Dimensionen. Die grosse Mehrheit der Jugendlichen sucht nach wie vor ihren Weg in der Gemeinschaft der Gleichaltrigen, und da spielt selbstverständlich auch das Geschlecht eine Rolle.
Wahlfach «Games und E-Sport» – aber nöd würkli!
Zu dieser merkwürdigen Idee reicht glaube ich eine dringliche Frage: Wollen wir tatsächlich denjenigen Jugendlichen, die in ihrer Freizeit ohnehin viel zu viel gamen, auch noch einen Teil ihrer Schulzeit damit füllen?
Damit wünsche ich Ihnen viel Spass beim Lesen.
Für die Redaktion der Starken Volksschule des Kantons Zürich
Marianne Wüthrich